Warum Berlin noch immer zieht: Wir zeigen sieben Österreicher, die in Berlin leben

Kira Stachowitsch, Journalistin: "Die Leute hier nehmen sich nicht so ernst"

STANDARD: Warum arbeiten Sie in Berlin und nicht in London oder New York?

Kira Stachowitsch: Die sehr kommerzielle deutschsprachige Medienlandschaft eröffnet uns viele Möglichkeiten. Das Indie-Magazin hat hier als kreativer Vorreiter eine einmalige Stellung.

STANDARD: ber Berlin hechelt als Modestadt der internationalen Konkurrenz doch eher hinterher ...

Stachowitsch: Natürlich sind die Modewochen in Paris, Mailand, New York und London redaktionell wichtiger für uns, aber es gibt in Berlin unheimlich viele tolle Leute. Sie machen vor allem aus einem Grund bessere Laune als die klassischen Modemetropolen: Sie nehmen sich einfach nicht so schrecklich ernst.

STANDARD: Was zeigen Sie Ihrem Berlin-Besuch?

Stachowitsch: Das kommt ganz auf den Besuch an: die abgeranzte Bar Simone's auf der Sonnenallee, die Alte Nationalgalerie, das Tempelhofer Feld oder die Cocolo-Ramen-Bar in Kreuzberg.

STANDARD: Wo gibt's in Berlin die besten Vintageshops?

Stachowitsch: Nach Schmuck stöbere ich am liebsten am Flohmarkt in der Bergmannstraße.

Kira Stachowitsch, Journalistin, DJ und Fotografin, hat vor einem Jahr das Büro des Magazins "Indie" in die deutsche Hauptstadt verlegt.
www.indie-mag.com

Denimtop Black Velvet Circus, T-Shirt Ottolinger, Jeans Levi's, Schuhe Vagabond.

Foto: Britta Burger

Herbert Hofmann, Kreativdirektor "Berlin feiert kultivierter als Mallorca oder Ibiza"

STANDARD: Warum sind Sie nach Berlin gezogen?

Herbert Hofmann: Hier ist vieles halbfertig, und man hat das Gefühl, noch verändern oder konservieren zu können. Das Leben ist auch viel günstiger als in New York, Paris oder London.

STANDARD: Und die Mode in Berlin?

Hofmann: In Berlin entstehen viele Trends, das Geschäft wird aber woanders gemacht.

STANDARD: Was hat Berlin, das Wien nicht hat?

Hofmann: Österreichische Städte verstehen es nicht ganz, kreative Leute zu fördern oder an sich zu binden. Wer sich mit einer Idee verwirklichen will, geht weg.

STANDARD: Wo geht's am Wochenende hin?

Hofmann: Berlin ist eine kleine exotische Insel in Deutschland. Es lohnt sich, raus nach Brandenburg zu fahren, da gibt es tolle Seen und Naherholungsgebiete. Mein Lieblingsausflugsziel ist aber Kopenhagen – der Flug dauert nur 40 Minuten.

STANDARD: Wird Berlin seinem Ruf als Partystadt noch gerecht?

Hofmann: Auf jeden Fall. Es fühlt sich aber kultivierter an als Mallorca oder Ibiza. Die Technomusik sortiert ordentlich aus.

Herbert Hofmann (32), Kreativdirektor und Einkäufer in der Kreuzberger Konzeptboutique VooStore, kam vor acht Jahren nach Berlin.
www.vooberlin.com

Herbert im gelben Sweater von Marni, einem Hemd von Carven, einer Hose von Acne Studios via VooStore.

Foto: Britta Burger

Kyra Wilhelmseder, Foto- und Videografin "Die Stadt ist noch ein Teenie"

STANDARD: Wie schlägt sich Berlin als Kreativmetropole?

Kyra Wilhelmseder: Berlin ist noch ein Teenie im Vergleich zu Paris, Mailand oder London. Die Stadt braucht noch etwas Zeit, an den Standard dieser Städte ranzukommen – aber will man das denn überhaupt? Sagen wir so, Berlin ist frech, erlaubt sich viel und ist undefinierbar.

STANDARD: Kann Wien da mithalten?

Wilhelmseder: Wien ist strukturierter, gemütlicher und einfacher zu verdauen. Berlin dafür spannender, "räudiger" und ein tägliches Abenteuer. Außerdem ist es arm, aber sexy, was man immer wieder mal zu hören bekommt, wenn es um Budgets für Projekte geht.

STANDARD: Was finden Künstler und Kreative in Berlin?

Wilhelmseder: Berlin ist eine Spielwiese für Erwachsene. Jeder kann tun und lassen, was er will, mit oder ohne Abschluss.

STANDARD: Welche Erwartungen hat Berlin bisher nicht erfüllt?

Wilhelmseder: Mir fehlt die Wertschätzung für die Arbeit, die man leistet – geldtechnisch sowie zwischenmenschlich.

Die Foto- und Videografin Kyra Wilhelmseder (24) gründete The New Age Club Fotoproduktionen für Magazine und kommerzielle Kunden. Sie ist seit 2012 in Berlin.
www.thenewageclub.tumblr.com

Kyra trägt eine Jacke von Levi's, einen Vintage-Sweater, eine Hose von Monki und Vintage-Schuhe.

Foto: Britta Burger

Zsuzsanna Toth, freie Journalistin "Man muss sich hier nicht anpassen"

STANDARD: Wer hat in Sachen Mode die Nase vorn, Berlin oder Wien?

Zsuzsanna Toth: Ich finde Modedesign aus Wien zum Teil viel spannender als das aus Berlin. Die etwas zu verkopfte Mentalität, die den Wienern – zu Recht – oft nachgesagt wird, funktioniert in Form von Kleidung ausgezeichnet. Berlin hat aber auf jeden Fall ein offeneres Publikum. Interesse. Neugierde. Weniger Skepsis.

STANDARD: Was vermissen Sie an Österreich?

Toth: Die Selbstverständlichkeit von guter Qualität. Das trifft auf viele Lebensbereiche, vor allem aber auf Lebensmittel zu. Ich vermisse Mehlspeisen, das Leitungswasser, die Luft. Und die einzigartige Kombination aus Spießigkeit, Morbidität und Schmäh.

STANDARD: Was spricht für Berlin?

Toth: Abgesehen von den noch immer sehr niedrigen Lebenshaltungskosten und Atelierpreisen ist Berlin einfach viel offener für neue Ideen und freut sich über stetig neuen Input. Das sieht man übrigens nicht nur in der Künstlerszene, sondern auch am Start-up-Boom der letzten Jahre. Man muss sich hier nicht anpassen, kann sich und seine Ideen ausprobieren, ohne dass man jahrelang Scherben kehren muss, wenn’s nicht klappt.

Die freie Journalistin, Beraterin und Produzentin Zsuzsanna Toth (27) lebt seit 2010 in Berlin.

Zsuzsannas Kleid ist von 22/4, das Hemd von MM6 Maison Margiela, die Stiefel von Céline.

Foto: Britta Burger

Severin Matusek, Leiter einer Fotoplattform: "Berlin hat den Techno"

STANDARD: Wer ist der lässigste Berliner?

Severin Matusek: Knut, der Eisbär. Rest in peace. Er hat einfach das Berliner Lebensgefühl perfekt verkörpert.

STANDARD: Was unterscheidet Berlin von Wien?

Matusek: Berlin ist größer und internationaler. Wien ist kleiner und gemütlicher.

STANDARD: ... und in musikalischer Hinsicht?

Matusek: Wien hat die klassische Musik mit ihren Orchestern, Sälen und Dirigenten, Berlin hat den Techno, die Technokultur hier zieht Leute aus der ganzen Welt an.

STANDARD: Warum kommen seit 20 Jahren derart viele Künstler in die deutsche Hauptstadt?

Matusek: Berlin war schon immer ein Ort für Leute, die nach etwas suchen und in Berlin die ökonomische und politische Freiheit finden, sich zu verwirklichen. Ich würde aber nicht sagen, dass das nur Künstler sind. Manche machen Kunst, andere arbeiten im Callcenter oder machen ein paar Jahre Party, bis sie wieder nach Hause gehen.

STANDARD: Was machen Sie an einem Sonntag in Berlin?

Matusek: Ich habe gerade einen Fahrradclub gegründet und fahre dann an den Sonntagen hoffentlich bald mit Freunden ins Berliner Umland, um Futschi zu trinken.

Severin Matusek (31) ist seit 2010 in Berlin und hat die Fotoplattform EyeEm mit aufgebaut, bei der er für Community und Kommunikation zuständig ist.
www.eyeem.com

Severins T-Shirt, Jacke und Jeans sind Vintage.

Foto: Britta Burger

Alexandra Bondi de Antoni, Journalistin "Nächtelang die tollsten Gespräche"

STANDARD: Erinnern Sie sich an Ihre erste Nacht in Berlin?

Alexandra Bondi de Antoni: Die war nicht aufregend. Ich bin am 2. Jänner nach Berlin gezogen, war nach einer exzessiven Silvesternacht k. o. und früh im Bett: Am nächsten Tag um neun hatte ich die ersten Wohnungsbesichtigungen.

STANDARD: Warum braucht Berlin eine deutsche Version der Londoner Stilbibel "i-D"?

Bondi de Antoni: Berlin strotzt nur so vor Kreativität und Subkulturen. Nach New York und London war Berlin der nächste logische Schritt.

STANDARD: Wie sieht Modedesign aus Berlin aus?

Bondi de Antoni: In Berlin gibt es viele tolle Designer, die leider vollkommen unter dem Radar arbeiten, weil sie nicht dem durchschnittlichen deutschen Geschmack entsprechen. Der ist ja eher funktional, schlicht und bodenständig.

STANDARD: Was hat Berlin Wien voraus?

Bondi de Antoni: In Wien hat man das Gefühl, alle zu kennen. In Berlin kann man nächtelang die tollsten Gespräche mit immer neuen Menschen führen, die man nie mehr wiedersieht.

Die Fotografin und Journalistin Alexandra Bondi de Antoni (26) kam vor einem Jahr nach Berlin, um die Redaktion der deutschen "i-D" zu übernehmen.
www.i-d.vice.com/de_de

Alexa trägt ein T-Shirt von Ottolinger, ihre eigene Bomberjacke, Vintage-Jeans und Stiefel von Topshop.

Foto: Britta Burger

Lucas Knoflach, Musikstratege "Die Wiener rufen gern 'Berlin is over'"

STANDARD: Wie steht Berlin als internationale Musikmetropole da?

Lucas Knoflach: Berlin lässt sich nicht so leicht einordnen. Ich wäre gerne vor 25 Jahren hier gewesen, aber auch wenn kreative Freiräume schwinden, gibt es noch viel Plat z zu experimentieren, vor allem auch in der Musiktechnologie.

STANDARD: Warum sind Sie hier?

Knoflach: Berlin ist eine gute Mischung aus Seriosität und Lebensgefühl. London und New York wären mir zu hektisch.

STANDARD: Warum zieht Berlin noch immer?

Knoflach: Von den Wienern bekommt man ja manchmal gerne "Berlin is over" nachgerufen ...

STANDARD: ... ist das so?

Knoflach: Ach, Berlin ist, abgesehen von den Freiräumen, viel internationaler. Weil die Lebenshaltungskosten noch immer sehr niedrig sind, stehen die Kreativen bei der Ideenfindung nicht unter so starkem kommerziellem Druck und können sich kreative Phasen leisten – unabhängig davon, ob diese Ideen danach vermarktet werden.

Lucas Knoflach (28) lebt seit einem knappen Jahr in Berlin. Bei Sound Diplomacy bewegt er sich zwischen Tech-Start-up und Musikwelt und berät Musikunternehmen, Städte und Organisationen bei Musikstrategien.
www.sounddiplomacy.com

Lucas' Bomberjacke ist Vintage, der Pulli von Weekday, die Hose von Uniqlo, Schuhe Doc Martens.

Zum Artikel: Berlin: Mehr Sneakers als High Heels

Foto: Britta Burger