Nach einer klaren Vollmondnacht war es Mittwochfrüh in Brüssel spürbar kühler als am Vortag. Um 7.58 Uhr, also genau 24 Stunden nach den Explosionen zweier von Selbstmordattentätern gezündeter Bomben auf dem Flughafen vor der Stadt, die mindestens elf Menschen in den Tod gerissen und mehr als hundert verletzt hatten, herrschte im Europaviertel zudem auch eine bedrückende Stille.
Kaum Menschen auf der Straße. Die U-Bahn-Station Maelbeek, wo ein zweiter Terroranschlag am Vortag mindestens 20 Menschen getötet und auch mehr als hundert zum Teil lebensgefährlich verwundet hatte, war von Sichtblenden der Polizei abgeriegelt.
Der Tag danach
Am "Tag danach", den kein Brüsseler je vergessen wird, an dem nach den Worten von König Philippe nichts mehr so sein wird wie zuvor, schien es, als wollte Europas Metropole nicht so richtig erwachen. Zum Teil liegt das an den nahenden Osterfeiertagen.
Aber die Bürger wollten den Tag nach der Ausrufung des Ausnahmezustands mit höchster Terrorwarnstufe verhalten beginnen. Bis in die Nacht hatten Fernsehen und Radio verkündet, dass der zweite Attentäter vom Flughafen, Najim Laachraoui, frei herumliefe. Er soll der "Bombenbauer" auch für die Anschläge in Paris im November sein. Die Polizei suchte ihn die ganze Nacht, immer wieder hörte man die Polizeisirenen.
Dabei hatte die Regierung – anders als nach Paris – den Bürgern eine ganz andere Strategie im Umgang mit der Angst vorgeschlagen. "Das Leben soll normal weitergehen", verkündete Premierminister Charles Michel. Man werde sich nicht einschüchtern lassen. Daher kurbelten die Verkehrsbetriebe in der Früh Zug um Zug den öffentlichen Verkehr wieder an: Busse, Züge und auch die meisten Metrolinien gingen in Betrieb. Nur der Zentralbahnhof und der im Eingangsbereich schwer beschädigte Flughafen blieben geschlossen.
So wie auch die Metrostation Maelbeek, wo Forensiker die Leichenteile der zerrissenen Opfer bergen müssen: Sie wird nach Angaben des Bürgermeisters auf Wochen geschlossen bleiben müssen.
In Maelbeek bildet sich die Kaltblütigkeit der Anschläge am brutalsten ab. Gesundheitsministerin Maggie De Block bat um Verständnis dafür, dass man keine genauen Opferzahlen bekanntgeben könne. Es werde noch lang dauern, bis alle Opfer identifiziert werden können. Die Angehörigen der Vermissten wurden aufgefordert, DNA-Proben und Fingerabdrücke ihrer Lieben zu liefern, um den Forensikern die Arbeit zu erleichtern.
Leute aus 40 Nationen
Wer die Opfer und Verletzten sind? Drei EU-Beamte seien darunter, gab die Kommission bekannt. Viele junge Leute, "wahrscheinlich aus 40 Nationen", erklärte Außenminister Didier Reynders. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kam mit dem als Gast in Brüssel weilenden französischen Premierminister Manuel Valls und Michel zur Station, für eine kleine Gedenkfeier.
Stärke demonstrieren gegenüber den Menschenfeinden, dieses Bedürfnis zeigten aber auch tausende Bürger der Stadt, die an verschiedenen Plätzen Gedenk- und Solidaritätsfeiern abhielten. Vor der Börse im Zentrum gibt es einen Brennpunkt der Manifestationen. Die Menschen zünden Kerzen an, schreiben Parolen der Aufmunterung auf die Straße. Am Samstag soll es einen großen Trauermarsch durch die Stadt geben, der beim Atomium startet.
Aber wer waren die Männer, die diesen Terror in die Stadt gebracht haben? Darüber gab am Nachmittag der ermittelnde Staatsanwalt Frederic Van Leeuw im Detail Auskunft. Er schilderte auch genau, wie die Anschläge abliefen.
Die zentrale Erkenntnis ist, dass die Attentäter, soweit bisher bekannt, alle Belgier sind, im Land geboren – und aus dem Netzwerk des erst am vergangenen Freitag verhafteten mutmaßlichen Paris-Attentäters Salah Abdeslam.
Bekannte Kriminelle
Der Anschlag auf dem Flughafen wurde von drei Männern verübt, die mit dem Taxi und ihren in Taschen versteckten Bomben ankamen. Sie begaben sich mit ihren Gepäckstrolleys in die Abflughalle, zwei zündeten bei den Check-in-Schaltern die Bomben. Der dritte Mann jedoch lief davon, seine Sprengladung detonierte nicht.
Zwei Selbstmordattentäter starben, einer war Ibrahim Bakraoui – ein polizeibekannter Krimineller. Der andere soll laut DNA-Analysen der Bombenbauer Laachraoui, ein Freund Abdeslams, gewesen sein. Nach dem Dritten vorerst unbekannten Täter werde gefahndet.
De Leeuw erklärte weiter, dass der Anschlag in der Metro Maelbeek von Ibrahim Bakraouis Bruder Khalid ausgeführt worden sei. Damit machte er – ohne es explizit auszusprechen – klar, dass die Attentate wohl rein auf das Brüsseler Jihadistennetzwerk zurückzuführen seien.
Denn Iberahim und Khalid Bakraoui, das sind jene Brüder, die eine Wohnung im Stadtteil Forest angemietet hatten, wo es vor einer Woche bei einer Razzia zu einer Schießerei gekommen war. Nach zwei Männern wurde gefahndet. Drei Tage später wurde der Paris-Attentäter Abdeslam verhaftet, der zugab, dass man in Brüssel "etwas machen" wollte. Vermutlich meinte er damit die Anschläge vom Dienstag. (Thomas Mayer aus Brüssel, 24.3.2016)