Gefangen im Mädchenzimmer, getroffen von weichem Sonnenlicht: "Mustang" von Deniz Gamze Ergüven.

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Trailer.

Filmladen Filmverleih

Wien – Für die Mädchen ist es ein harmloses Spiel am Strand. Die Schulferien haben begonnen, die nette Lehrerin hat sich eben aus dem kleinen anatolischen Dorf Richtung Istanbul verabschiedet, und die Schülerinnen genießen ihren ersten freien Vormittag. Doch die Nachbarin, die zufällig beobachtet, wie die Schwestern sich auf den Schultern von Burschen eine ausgelassene Wasserschlacht liefern, berichtet die Ungehörigkeit der Großmutter.

Die Sanktionen sind drastisch: Ein Mädchen nach dem anderen wird für das Vergehen handfest bestraft, der herbeigeholte Onkel erweist sich als nicht minder brutaler Sittenwächter. Das kurze Sommererwachen hat ein jähes Ende gefunden.

Mustang erzählt die Geschichte von fünf Waisenmädchen im Alter von etwa zehn bis sechzehn Jahren, deren bislang offensichtlich unbeschwerte Jugend sich plötzlich in ein Leben hinter Gittern verwandelt. Denn nicht nur sollen die Schwestern fortan mithilfe strenger Nachbarinnen zu herzeigbaren Hausfrauen herangezogen werden, sondern das Haus verwandelt sich auch zusehends in ein Gefängnis, das den unbändigen jugendlichen Freiheitswillen brechen soll.

Mittel zum Zweck

Der Debütfilm der jungen türkischen Regisseurin Deniz Gamze Ergüven, eine auf zahlreichen Festivals gelobte französisch-deutsch-türkische Koproduktion, ist ein überaus berechenbarer Film. Nicht weil man von Beginn an sein Ende voraussagen könnte, weil er sein Anliegen meilenweit vor sich herträgt. Anlässlich seines Kinostarts in Deutschland nannte ihn die Rezensentin in der Welt "eine Zumutung", bei der ihr als Deutschtürkin "das Kotzen" komme.

So weit muss man es zwar nicht kommen lassen, aber tatsächlich ist Mustang ein Film, der für ausreichend Groll sorgen kann. Das hat nichts mit seinen handwerklichen Schwächen zu tun, etwa mit dem Umstand, dass die Erzählstimme der jüngsten Schwester ununterbrochen davon berichtet, was man ohnehin auf der Leinwand sieht. Oder mit der mangelnden Plausibilität des Drehbuchs, das selbst eine Zwangsverheiratung zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Mädchen und Hochzeitsgesellschaft werden lässt. Oder dass die Kamera wie zu Erholungszwecken wiederholt mit der schönen Landschaft Anatoliens liebäugelt.

Es ist seine eben nicht naive, sondern berechnende Ausrichtung auf ein westeuropäisches Publikum, die diesen Film schwer erträglich macht. In seiner Licht-und-Luft-Ästhetik erinnert Mustang – nicht nur in Momenten, in denen sich die eingesperrten Schwestern umschlungen im Mädchenzimmer räkeln – an Sofia Coppolas The Virgin Suicides, während reale gesellschaftliche Restriktionen zu familiären Brutalitäten umgeformt werden. Damit untermauert Mustang jedoch gängige Vorurteile, indem er die Missstände, die er anprangern möchte, nur als Mittel zum Zweck verwendet. Die jungen Frauen, die der Gewalt vor allem ihres Onkels schutzlos ausgeliefert sind, werden einzig über ihre Funktion wahrgenommen: Selbstbestimmung sieht anders aus.

Deniz Gamze Ergüven mag – mithilfe ihrer französischen Koautorin Alice Winocour – einen wichtigen Film geschrieben und dann inszeniert haben. Wichtiger als sein Blick auf soziale Realitäten ist diesem Film allerdings er selbst. (Michael Pekler, 25.3.2016)