Zum Studium des Jugendjargons geeignet: "Fack ju Göhte".

Constantin Film

Oder einfach in Wien mit den Öffis fahren.

Foto: apa/ROLAND SCHLAGER

Ich habe den Film "Fack ju Göhte" nicht gesehen, und vielleicht ist mir etwas entgangen. Laut Bericht einer Freundin eignet sich der Film hervorragend zum Studium des Jugendjargons. Aber wenn wir die Wiener Öffis benutzen und die Ohren spitzen, das reicht auch. Sprachproben gibt es da zuhauf.

Was früher klass war und super und später irre interessant, das ist jetzt urgut, voll leiwand, hammergeil oder nur: Hammer! Auf Schule haben viele null Bock, die Lehrer sind urblöd und die Noten voll ungerecht. Dass ihr Benehmen manchmal voll daneben ist, dafür fehlt echt die Einsicht. Jugend. Und ihre Sprache. Heißt Jugendjargon. Ich krieg voll die Krise. Wenn ich länger zuhören muss. Megacool dieser Rap, echt fett jene Party. Mörder-Bräute.

Intensive Wörter

Wir könnten hier die Möglichkeiten erörtern, die der deutschen Sprache zu Gebote stehen, den Elativ auszudrücken, und auch über den Gebrauch des Superlativs ließe sich einiges sagen. Zugegeben, es handelt sich hierbei um kein hochbrisantes Thema. Und ich will nicht hypersensibel reagieren, wenn ich "He, Oida, wen interessiert denn des!" höre, selbst wenn ich bemerke, dass es in meinem Fall grammatikalisch richtig heißen müsste "He, Oide!" Echt krass.

Die Wörter, die die jungen Menschen inflationär in fast jede Äußerung einstreuen, dienen der Verstärkung, drücken Intensität aus – wie die standardsprachlichen Gradpartikeln sehr, äußerst, überaus, zu, aber auch bestimmte Adjektiva, die als Präfix fungieren: Manche Menschen sind äußerst kompetent, sehr beflissen und hochmotiviert.

Gesellschaft der Superlative

Der Übergang zu Übertreibungen ist fließend. Besonders die Werbung schlägt daraus Kapital. Da werden Waschpulver angepriesen, die die Wäsche weißer als weiß machen, alle Produkte haben Top-Qualität. Maßlosigkeit greift überhaupt um sich. Es lebe der XXL-Burger! Auch im Sport geht es immer um Höchstleistungen, um Bestform durch optimales Training. Wir sind zu einer Gesellschaft der Superlative mutiert. Höchsteffizient im Job, überall die modernsten Maschinen, größte Methodenvielfalt in den Bildungseinrichtungen, optimales Fitnesstraining in der Freizeit. Macht alles Mega-Stress. Ein Umdenken wäre sehr wünschenswert.

Recht interessant ist dieses gute, alte Wörtchen "sehr". Es hatte im Mittelhochdeutschen (sêre, sêr, schmerzlich, heftig, gewaltig, später in hohem Grade) auch eine Vollbedeutung, die wir heute noch bei Kriegsversehrten finden und im Versehrtensport. Und wir freuen uns, wenn wir bei einem Unfall unversehrt bleiben, das heißt mit heiler Haut davonkommen.

Körperlicher und seelischer Schmerz

Das Adjektiv sêr und auch das Nomen sêr (gotisch sáir, althochdeutsch sēr, altenglisch sār, körperlicher und seelischer Schmerz, Qual, Leid) waren in allen germanischen Sprachen heimisch und lassen sich auf die urgermanische Wurzel *sairaz1 zurückführen. Dass diese erschlossene Form stichhaltig ist, beweist das Finnische. Neugierige dürfen jetzt zum letzten Absatz.

Die ursprüngliche Bedeutung des Adjektivs sêr war wund, verletzt, leidend, und die kann man auch im heutigen Englisch noch entdecken: Wenn sich George seine Füße wundgelaufen hat, dann ist er footsore (sore aus altenglisch sār, Schmerz, Wunde). Amanda has a sore throat. Sie hat Halsweh. Fieberblasen (cold sore) sind auch unangenehm.

So traurig

I am so sorry, but I am not finished yet. Ganz kurz sollte erwähnt werden, dass auch sorry aus derselben Quelle stammt: Es ist eine Ableitung von altenglisch sār: sār-ig, traurig, betrübt.

Das Adverb mittelhochdeutsch sêre entwickelte sich über die Bedeutung schmerzlich, Schmerz zufügend, heftig, gewaltig, die allmählich verblasste, zum heutigen Gradpartikel sehr "in hohem Maße". Eine Textstelle im "Erec" von Hartman von Aue mag das verdeutlichen: "Wes hânt ir die maget geslagen? Ir hânt sêre missetân." Übersetzt: "Weshalb habt Ihr der Jungfrau einen Schlag versetzt? Ihr habt ihr Schmerz zugefügt und übel gehandelt." Bedeutet: Ihr habt Euch äußerst (= sehr) schlecht benommen.

Der finnische Beweis

Kurioserweise finden wir heute im Finnischen ein Adjektiv, das sairas lautet und krank bedeutet. Finnisch sairas ist ein germanisches Lehnwort, und es entspricht urgermanisch *sairaz, also dem Vorfahren unseres Wörtchens sehr. Der kulturelle und sprachliche Kontakt der Finnen mit den Germanen fand sehr früh statt, das heißt die Entlehnung reicht in vorliterarische Zeit zurück, wahrscheinlich ins 1. Jahrtausend vor Christus – bevor die Endung -az wegfiel und lange bevor sich die germanischen Einzeldialekte herausbildeten. So kommt es, dass finnisch sairas einen Lautstand bewahrt hat, der in der "Ursprache" schriftlich gar nicht bezeugt ist.

Faszinierend, oder? Ich jedenfalls find' das voll geil. (Sonja Winkler, 29.3.2016)