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Mit "Der Gotteswahn" schrieb der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins so etwas wie eine Bibel des Atheismus. Das Buch trug mit dazu bei, dass er heute als einer der weltweit wichtigsten Denker gilt.

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Richard Dawkins, "Die Poesie der Naturwissenschaften". Autobiografie. € 39,10 / 730 Seiten. Ullstein, Berlin 2016

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Wien – Zwischen den innovativen Leistungen von Forschern und deren öffentlicher Anerkennung vergehen im Normalfall etliche Jahre. Und so kann es passieren, dass diese neuen Erkenntnisse schon wieder überholt sind, wenn sie sich in der breiten Öffentlichkeit durchsetzen. Bei Richard Dawkins, der am 26. März 75 Jahre alt wird, war das ein wenig anders.

Der britische Evolutionsbiologe gehört bereits seit vielen Jahren zu den wichtigsten Vertretern seiner Zunft: Vom Magazin Time wurde er 2007 zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt gewählt, von britischen und US-amerikanischen Juroren im Journal "Prospect" kürzlich sogar zum wichtigsten Intellektuellen weltweit.

Sein wichtigstes wissenschaftliches Werk erschien aber auch schon wieder vor 40 Jahren: Mit dem Bestseller "Das egoistische Gen" (1976) attackierte der damals 35-Jährige nicht zuletzt die klassische Verhaltensforschung, die damals auf dem Höhepunkt ihres Einflusses war. Deren Grundlagen waren in den 1930er-Jahren von Konrad Lorenz und seinem Kollegen Niko Tinbergen entwickelt worden, die dafür 1973 den Medizin-Nobelpreis erhielten. Drei Jahre später knöpfte sich Dawkins, der in Oxford bei Tinbergen promoviert hatte, deren evolutionstheoretische Annahmen vor.

Gene als evolutionäre Einheit

Die Verhaltensforscher würden sich irren, "weil sie nicht richtig verstanden haben, wie die Evolution funktioniert", kritisierte Dawkins. Lorenz und Kollegen waren davon ausgegangen, dass sich Verhaltensweisen evolutionär durchsetzen, wenn sie der Erhaltung der Art dienen. Damit machte Dawkins Schluss. Die entscheidende Einheit der Evolution und damit der natürlichen Selektion sei nicht die Art oder das Individuum: Lebewesen – egal ob Bakterium oder Mensch – seien im Grunde nur "Überlebensmaschinen" für die einzelnen Gene.

Bis heute wurde das Buch in fast 30 Sprachen übersetzt und hält bei einer Gesamtauflage von weit mehr als einer Million Exemplaren. Das liegt nicht nur daran, dass es glänzend geschrieben ist. Dawkins führte darin auch den Begriff "Meme" ein. Darunter versteht er das kulturelle Äquivalent zu Genen: Meme würden von Gehirn zu Gehirn springen, das Verhalten bestimmen und sich durch Nachahmung verbreiten.

Mit "Der blinde Uhrmacher" legte Dawkins 1986 einen weiteren Bestseller nach, der Darwins Evolutionstheorie radikal deutete. Mit dem Titel spielte er auf Vorstellungen an, die hinter der Evolution eine Art von intelligenter Kraft vermuten. Dem erteilte Dawkins eine eindeutige Absage: Die natürliche Selektion sei ein zufälliger Vorgang ohne Ziel.

Im Jahr 1995 übernahm der Biologe dann den eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Public Understanding of Science an der Uni Oxford. Diese spezielle Professur ermöglichte es ihm, sich ganz seiner Mission zu widmen: eine radikaldarwinistische Version der Evolutionstheorie zu predigen. Das trug ihm den Titel "Darwins Rottweiler" ein, eine Anspielung auf Thomas Huxley, der als Darwins Bulldogge galt.

Sein Einfluss reichte damals längst über die Wissenschaft hinaus. So etwa bezeichnete sich der 2001 verstorbene Science-Fiction-Autor Douglas Adams als "Dawkinsist". Die beiden verband auch eine enge Freundschaft, was wohl auch daran lag, dass Adams so wie Dawkins Atheist war.

Militanter Atheismus

Aus dieser militant vertretenen Überzeugung entstand der bislang letzte große Bestseller des Biologen: In "Der Gotteswahn" (2006) erklärte er religiöse Überzeugungen unter anderem zu mentalen Viren, die sich ähnlich einem Computervirus von Gehirn zu Gehirn verbreiten und auf diese Weise für Böses in der Welt sorgen würden.

Wie Dawkins all seine einflussreichen "Meme" entwickelt hat, kann man nun auch in seinen eigenen Worten auf Deutsch nachlesen. Seine etwas weitschweifig geratene Autobiografie "Die Poesie der Naturwissenschaften" ist allerdings nur hartgesottenen Dawkins-Fans zu empfehlen. Und wenn der Biologe darin in der ihm eigenen Arroganz etwa über die Epigenetik herzieht, dann muss man fürchten, dass der einst innovative Wissenschafter längst in seiner eigenen Orthodoxie gefangen ist. (Klaus Taschwer, 25. 3. 2016)