Die WHO ist sich des globalen Zuckerüberflusses bewusst und warnt vor den massiven gesundheitlichen Folgen der Überdosis. Dieses Jahr wird im Zeichen der Maßnahmen gegen Diabetes stehen.

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Sie wollen "Gesundheit für alle", doch die Weltgesundheitshüter sind selbst nicht ganz fit. Bereits vor gut fünf Jahren hat Margaret Chan als Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihrer Institution eine Kur verschrieben. Als behäbig und zu langsam oder überzogen reagierend wurde die UN-Organisation bezeichnet. 2010 untersuchte der Europarat die Verquickung zwischen der Weltgesundheitsorganisation und den Pharmakonzernen wegen der Kritik, die WHO sei zu industriefreundlich.

Inmitten ihres darauffolgenden mehrjährigen Reformprozesses schlitterten die Gesundheitswächter aber erst richtig tief in eine Krise: Als im März 2014 das Ebola-Virus Westafrika heimsuchte, reagierte die Weltgesundheitsorganisation nur zögerlich – aus Sicht von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen viel zu langsam. Insgesamt sollten rund 10.000 Menschen an der Krankheit sterben.

Die WHO-Spitze gab denn auch im Vorjahr zu, schlecht auf den Seuchenausbruch in Afrika vorbereitet gewesen zu sein. Man habe zu wenig Kapazitäten gehabt und zu wenig energisch Alarm geschlagen. Die Seuche habe die Organisation bis ins Mark erschüttert, gestand die bis Ende Juni 2017 gewählte Generaldirektorin Margaret Chan ein und versprach: "Wir haben Lektionen der Demut gelernt."

Notfallszenario für "außergewöhnlichen Ereignis"

In diesem Licht erscheint der Umgang der WHO mit dem Ausbruch des Zika-Virus Ende 2015 in Brasilien auch als Versuch, nicht erneut die gleichen Fehler zu begehen wie 2014 mit Ebola. Der von Mücken übertragene Krankheitserreger verbreitet sich in Nord- und Südamerika und gilt vor allem für Schwangere als gefährlich; tausende Missbildungen bei Neugeborenen werden mit ihm in Verbindung gebracht.

Die in Genf sitzende UN-Einrichtung erklärte Zika im Februar zum internationalen Gesundheitsnotfall. Als die Organisation dies im Sommer 2014 bei Ebola getan hatte, waren bereits hunderte Tote bei Erkrankungswellen in mehreren Ländern zu beklagen gewesen.

Erst zweimal zuvor hatte die Weltgesundheitsorganisation Seuchenausbrüche als derartigen Gesundheitsnotfall deklariert: 2009 die Schweinegrippe und 2014 Polio. All diese Alarme fielen unter Chans Leitung – dabei gibt es die WHO-Regularien für ein solches Notfallszenario bereits seit 1969. Sie können bei einem "außergewöhnlichen Ereignis" schlagend werden, welches durch die Gefahr der internationalen Verbreitung einer Krankheit zum "öffentlichen Gesundheitsrisiko" für mehrere Länder zu werden droht und eine "koordinierte internationale Antwort" erfordert.

Alarm ist Chefsache

Sind die Kriterien für so einen Notfall erfüllt, haben betroffene Länder dies der WHO binnen 24 Stunden zu melden. Die UN-Organisation spricht dann verbindliche Empfehlungen etwa für die Vorsorge an Flughäfen und Grenzübergängen aus. Ein Komitee der WHO gibt dann seine Sichtweisen bekannt, die Letztentscheidung, ob ein internationaler Gesundheitsnotfall vorliegt, liegt aber bei der Generaldirektorin selbst.

Chan hatte sich bereits vor ihrem Job an der WHO-Spitze im Kampf gegen Seuchen bewiesen, die in Hongkong geborene Ärztin musste genau dabei auch schon harte Kritik einstecken. Als sie nach ihrem Studium aus dem kanadischen Westontario nach Hongkong zurückkehrte, wurde sie Chefin der dortigen Gesundheitsbehörde und hatte als solche 1997 mit dem Ausbruch der Vogelgrippe zu kämpfen.

Lob in höchsten Tönen für ihr entschiedenes Handeln damals und der von der englischen Königin Elizabeth II verliehene "Order of the British Empire" bewahrten sie sechs Jahre später aber nicht davor, der öffentlichen Wahrnehmung nach zu langsam zu reagieren, als die Infektionskrankheit Sars (schweres akutes respiratorisches Syndrom) die Millionenmetropole heimsuchte. Politiker warfen ihr vor, Vertuschungsversuche Chinas nicht rasch genug entlarvt zu haben.

Von Atemluft bis Zucker

Damals wie heute macht die Ausbreitung von Seuchen zwar ein wesentliches, bei weitem aber nicht das einzige Thema aus, das die Weltgesundheitsorganisation und ihre Chefin beschäftigt. Denn es gibt kaum etwas im Bereich des menschlichen Wohlergehens, wofür oder wogegen die UN-Sonderorganisation nicht Stellung bezieht und Leitlinien entwickelt – die sie zu vereinheitlichen und weltweit durchzusetzen trachtet.

Einige WHO-Empfehlungen sind unverbindlich, aber es gibt auch völkerrechtliche Verträge (etwa zum Nichtrauchen) sowie Regelungen, die sich auf die WHO-Verfassung stützen (etwa zur Klassifikation von Krankheiten oder internationale Gesundheitsvorschriften).

Die Palette der Betätigungsfelder reicht dabei von Seuchen, Übergewicht und Ernährung bis zu Genitalverstümmelung sowie Nichtraucherschutz, Luft- und Wasserverschmutzung, Kinderkrankheiten und Impfungen. In vielen Bereichen definieren die Wächter über das menschliche Wohlbefinden ihre Empfehlungen bis ins Detail.

Kampf um die Wurst

So rät die WHO zum Beispiel einem durchschnittlichen Erwachsenen, maximal sechs bis zwölf Teelöffel beziehungsweise 50 Gramm freien Zuckers pro Tag zu sich zu nehmen. Geht es nach der UN-Organisation, sollen alle Babys dieser Welt sechs Monate lang ausschließlich gestillt werden und bis zum Erreichen des zweiten Lebensjahres ergänzend – eine Empfehlung, die durchaus ihre Gegnerinnen kennt.

In einer Welt nach perfekten WHO-Maßstäben würde zudem die Konzentration von Partikeln unter zehn Mikrometer Größe (PM10) pro Kubikmeter Luft nicht den Wert von 20 Mikrogramm übersteigen.

Und vergangenen Herbst blieb wohl so manchem Fleischliebhaber der Steakbissen im Halse stecken, als die Internationale Krebsforschungsagentur IARC verkündete, dass regelmäßiger Fleischkonsum das Risiko für Darmkrebs erhöhen dürfte. Die WHO ruderte nach heftigen Protesten zurück und teilte mit, die jüngste Bewertung ihrer Behörde verlange von den Menschen nicht, Lebensmittel wie Würstchen, Schinken oder anderes verarbeitetes Fleisch gar nicht mehr zu essen.

Budgetprobleme

Derlei Aufregung wird auch in Zukunft, nach Abschluss des Reformprozesses, dem sich die WHO verschrieben hat, nicht gänzlich ausbleiben. Im Zuge der Veränderungen geht es etwa darum, Prioritäten klarer zu setzen und Aufgaben der verschiedenen WHO-Büros genauer abzustecken, sich mit anderen internationalen Playern besser zu koordinieren und den Datenaustausch zu verbessern, und nicht zuletzt darum, die Finanzierung besser aufzustellen.

Die Gelder der Organisation bestehen zu über zwei Dritteln aus Spenden für ganz konkrete Vorhaben und sind damit an fixe Posten gebunden. Nur ein Bruchteil des Gesamtbudgets ist also flexibel einsetzbar – bis dato hat sich daran nichts geändert. Die Mitgliedsbeiträge wurden in den vergangenen sechs Jahren nicht erhöht, immer wieder überstiegen die Kosten die Einnahmen.

In der Budgetperiode 2014/15 lagen die Ausgaben bei rund vier Milliarden US-Dollar. Nicht einmal eine Milliarde machten die Mitgliedsbeiträge aus. Was in den vergangenen Jahren aber gelang, war, mehr zugesagtes Geld auch tatsächlich früher zu erhalten.

Gelernte Lektionen

Um auf Notfälle besser vorbereitet zu sein, hat sich die WHO auch organisatorische Änderungen vorgenommen. Zum Beispiel, eine globale Notfall-Arbeitsgruppe zu schaffen. Vor wenigen Wochen wurde ein entsprechendes Expertenteam für Europa in Brüssel präsentiert.

Margaret Chan, die als junge Ärztin dabei geholfen hatte, Kinder auf die Welt zu bringen, verglich das Ereignis mit "der Geburt eines gesunden Babys". Eines Babys allerdings, dessen Entstehungsgeschichte sich nicht erzählen lässt, ohne an das Leid tausender Menschen zu denken, und das noch darauf wartet, dass man seinem Beispiel in weiteren Weltregionen folgt. (Gudrun Springer, CURE, 11.5.2016)