Der Sessel erinnert an einen Skilift, der Stoffbezug von Raf Simons an alte Trikots von Rugby-Spielern.

Foto: Kvadrat

Vergangenen Oktober verließ Raf Simons Dior. Jetzt kümmert er sich um sein Männermodelabel und um Stoffe für Kvadrat.

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Einen spürbaren Hauch von Modeglamour bringen die vielfältigen Stoffdesigns von Raf Simons in die Welt der Einrichtung.

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Das Karussel der Mode läuft rund in diesen Tagen. Seit Raf Simons im Oktober überraschend seinen Chefposten bei Dior aufgab, hält eine ganze Welle an freiwilligen und unfreiwilligen Rücktritten die Modewelt in Schach. Raf Simons hat es an dieser Stelle einfacher: Er konzentriert sich seit dem Rückzug auf sein eigenes Antwerpener Männermodelabel – und einen überaus florierenden Nebenerwerb: seine Zusammenarbeit mit dem dänischen Textilhersteller Kvadrat.

Dieser lud vor kurzem in die Räume der Berliner Galerie Thomas Schulte zur Präsentation der dritten gemeinsamen Kollektion. Einen offiziellen Kommentar zu Simons Fortgang von Dior gab es ebenso wenig wie eine Auskunft über zukünftige Verpflichtungen. Doch darum ging es an diesem Abend auch nicht. Simons, der ursprünglich Produkt- und Möbeldesign studiert hatte, kehrt mit Bezugsstoffen für Sessel und Sofas nicht nur zu seinen Wurzeln zurück. Ihm gelingt, was viele Möbelfirmen seit Jahren erfolglos versuchen: einen Hauch von Modeglamour auf die glamourfreie Einrichtungsbranche zu übertragen.

Designprominenz an der Spree

Und so zog die Veranstaltung eine Designprominenz an die Spree, wie sie sonst nur auf einem VIP-Empfang während der Mailänder Möbelmesse denkbar wäre. Gestalter wie Patricia Urquiola, Hella Jongerius und Alfredo Häberli waren ebenso vor Ort wie BMW-Designchef Karim Habib oder Trendspürnase Patrizia Moroso. Den Kontakt zwischen Simons und Kvadrat hatte übrigens Peter Saville eingefädelt – jener legendäre Grafiker aus Manchester, der die Plattencover von Joy Division und New Order zum Kunstwerk erhob – und ebenfalls an diesem Abend nicht fehlen durfte. Simons selbst war mit seinem Lebensgefährten Jean-Georges d'Orazio vor Ort.

Dass der ganze Auftrieb nicht von ungefähr kommt, wurde auf den Möbelmessen der vergangenen Monate deutlich. Kaum ein designaffiner Aussteller ließ es sich nehmen, seine Sessel und Sofas mit einem Raf-Simons-Stoff zu beziehen und diesen Umstand lauthals kundzutun. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht: Schließlich wurden die Namen von Stofffirmen in der Vergangenheit ebenso wenig kommuniziert wie die der Textildesigner. An dieser Stelle hat ein komplettes Umdenken in der Branche eingesetzt, was den Dänen prall gefüllte Bücher beschert. "Wir kommen mit der Lieferung kaum hinterher und müssen Kunden immer wieder vertrösten", verkündete der sichtlich stolze Kvadrat-Chef Anders Byriel, als er das Mikrofon ergriff.

In Zeiten, in denen der Alltag immer immaterieller wird, wächst die Sehnsucht nach handfesten Qualitäten. Nicht ohne Grund waren es vor allem die haptischen Samtstoffe aus der Simons-Kollektion, die bei den Möbelfirmen auf großes Interesse gestoßen sind. Mit der diesjährigen Kollektion gesellen sich grafische Akzente hinzu. Die drei neuen Stoffe "Fuse", "Pulsar" und "Reflex" setzen ganz auf die Wirkung von Streifen, deren Breite und Struktur variiert. Indem die Streifen bei "Fuse" nicht durchgehend, sondern fragmentiert erscheinen, verschmelzen sie optisch mit der Hintergrundfarbe. "Pulsar" ist dagegen ein betont dreidimensionaler Stoff. Die Bandbreite reicht hier von leuchtenden Farbkombinationen wie Kobaltblau auf rotem Grund bis hin zu zurückhaltenden Mischungen aus Zart-Grau und Anthrazit.

Mustermacher

Mit seinen zehn Zentimeter breiten Streifen lässt der Stoff "Reflex" unweigerlich an die alten Trikots von Rugby-Spielern denken. Die Wirkung dieses Musters wurde nicht nur mithilfe bezogener Rahmen verdeutlicht, die locker an den Galeriewänden lehnten. Im zweigeschoßigen Eckschaufenster – das Gebäude an der Charlottenstraße Ecke Leipziger Straße ist übrigens 1913 von Werkbund-Gründer Hermann Muthesius umgebaut worden – waren zwei schaukelnde Sessel zu bestaunen, bezogen mit den breitgestreiften Stoffen von Raf Simons. Es handelt sich bei diesen Möbeln um Reproduktionen des Sessels "Seggiovia", den der Architekt Franco Albini 1940 für die VII. Mailänder Triennale entwarf.

Ähnlichkeiten zu Ski-Lift-Sitzen sind kein Zufall. Schließlich plante Albini zeitgleich eine Gondelstation im italienischen Wintersportort Cervinia, wo auch andere Modernisten wie Carlo Mollino mehrere Bauten hinterließen. "Die Lockerheit und Eleganz dieser Möbel ist beeindruckend: erst recht wenn man sich anschaut, wie konservativ und plump viele Möbel aussehen, die heute auf den Markt kommen", erzählte Raf Simons bei einem kurzen Gespräch. Er selbst sammelt neben Kunst auch Möbel und hat für die Arbeiten Albinis ein besonderes Faible. Die Rekonstruktion der "Seggiovia"-Sessel erfolgte in Abstimmung mit den Erben sowie jener Mailänder Stiftung, die sich um den Nachlass des 1977 verstorbenen Entwerfers kümmert.

Auch wenn die Stoffe ursprünglich für den Möbelbereich konzipiert wurden, sind Schnittstellen zur Mode keineswegs ausgeschlossen. Anfang 2015 brachte Raf Simons seine Kvadrat-Stoffe erstmals auf die Pariser Laufstege – sowohl bei seinem Herrenlabel als auch bei der Prêt-à-porter-Kollektion von Christian Dior. Die diesjährigen Stoffe werden davon nicht ausgeschlossen sein, womit die Botschaft dieses Abends eindeutig ausfällt: Achten Sie immer auf die Stoffe! Das Wechselspiel aus breiten und schmalen Streifen wird Ihnen mit Sicherheit bald öfter begegnen – ganz gleich, ob im Wohnzimmer oder sogar mitten auf der Straße. (Norman Kietzmann, RONDO, 1.4.2016)