Der Soulsänger Charles Bradley veröffentlicht am Freitag sein Album "Changes". Obwohl er heute ein Star ist, ist ihm die Leichtigkeit des Lebens unerträglich. Das geht auf Kosten der Eleganz.

Foto: Mark Shaw

Wien – Man versteht seine Dankbarkeit. Bloß wie sie sich zeigt, wirkt befremdlich. Charles Bradley eröffnet sein neues Album mit God Bless America. Einem Ausruf – halb Bitte, halb Schwur –, dem die religiös-patriotische Arroganz vermeintlich Auserwählter anhaftet. Hart sei sein Leben gewesen, aber der Liebe für Amerika habe das nichts anhaben können, denn die Prüfungen hätten ihn starkgemacht. Die alte Leier von der Wichtigkeit der Entbehrungen.

An schlechten Tag würgt man also schon, bevor das erste richtige Lied ertönt. Der Chor hebt an. "God bless America", vibriert es vielstimmig, Bradley steigt ein, auch seine Kinnlade zittert.

Es ist ein Floskel-Gospel, der als Ouvertüre für Changes herhalten muss. So heißt das am Freitag erscheinende Album des Soulsängers. Aber es ist Charles Bradley, der da sein Herz auf der Zunge trägt, und dessen Geschichte liest sich tatsächlich wie der oft zitierte amerikanische Traum. Dieser scheint sich heute noch seltener als früher zu verwirklichen, doch Bradley empfing diesen Kuss des Schicksals.

DaptoneRecords

Mit 62 Jahren wurde er ein Star. Das war 2011, damals veröffentlichte er sein Debütalbum No Time For Dreaming, ein Meisterwerk im Gewand des klassischen Soul der 1960er-Jahre. Entdeckt hat den Sänger Gabriel Roth. Der ist Gründer des New Yorker Labels Daptone. Seine Hausband besorgte den Retrosound für Back in Black, dem Erfolgsalbum von Amy Winehouse, sein Label wurde mit Acts wie Sharon Jones, Lee Fields oder Naomi Shelton und ihren phänomenalen Gospel Queens zu einer Macht des Neo-Soul, die das Neo nur trägt, um sich als zeitgenössisch auszuweisen. Tatsächlich klingen die Alben dieser Künstler, als wären sie vor 50 Jahren entstanden, das ist ihr Gütesiegel.

Bradley ist der älteste und erfolgreichste im Daptone-Portfolio. Von der Mutter weggegeben und der Großmutter erzogen, lebte er in Armut, tingelte durchs Land, arbeitete als Koch, war obdachlos und verzweifelt. Doch er hatte einen Traum. Er wollte Soul singen, seit er James Brown im New Yorker Apollo gesehen hatte, damals, 1962. Als dessen Impersonator trat er ab den 1990ern auf kleinen New Yorker Bühnen auf, dort entdeckte ihn später Gabriel Roth, Bradleys gute Fee.

Changes ist das dritte Album in fünf Jahren. In der Zeit stieg Bradleys Stern in den Himmel. Mit seiner tief empfundenen Musik bespielt er große Festivals und edle Häuser auf allen Kontinenten und vergießt ehrliche Tränen ob des Zuspruchs, der ihn dabei ereilt.

150 Kilo über der Brust

Den garantiert Changes wohl weiterhin. Denn nach dem Opener bietet Bradley, was sein Publikum von ihm kennt und erwartet. Hier ist kein Song schlecht, doch Bradleys Expressionismus erschöpft sich zusehends. Als Anhänger der James-Brown-Schule kniet er sich in jeden Song, als wäre es sein letzter. Immer und dauernd. Das geht auf Kosten der Wirkung und der Eleganz. Stellenweise klingt der 67-Jährige, als hätte man ihm das Mikro beim Bankdrücken hingehalten, 150 Kilo über der Brust. Und jetzt bitte das Girl anschmachten: "Oh, baby, I'm crazy for your love."

Das klingt anstrengend, angestrengt und wenig originell. Das Baby, nach dem Mann vor lauter love demnächst crazy wird, das gab's schon ein, zwei Mal. Gut, Soul hat es immer verstanden, Banales mit Gefühl und Stimme zu adeln, und das Buben-Mädchen-Thema wird uns erhalten bleiben, aber etwas weniger platt wäre etwas weniger platt gewesen.

DaptoneRecords

Dasselbe gilt für das Titellied Changes. Ein Song von Black Sabbath, den Bradley ebenfalls mehr stemmt als singt. Davon gibt es noch ein paar mehr, und damit dreht er dem Album die Lässigkeit ab. Es ist ein schleichendes Gift, das sich verstärkt, je stärker Bradleys Adern hervortreten.

Tom Brenneck hat dem nichts entgegenzusetzen. Das musikalische Mastermind der Band spielt brav mit, vertont Bradleys Seelen-Workout. Nichts gegen Schwergewichte. Ein solches war Muhammad Ali auch. Doch der wusste Heaviness und Leichtigkeit zu verbinden, um seinen Schlägen die volle Wucht zu geben. Bradley wirkt auf voller Distanz zusehends schwerfällig. Das wird seinem Talent nicht gerecht. (Karl Fluch, 29.3.2016)