Ohne die Beschwörung von Interdisziplinarität scheint im Wissenschaftsbetrieb seit Jahren nichts mehr zu gehen. Aber ist eine Kooperation von fünf Wissenschaftern aus fünf verschiedenen Bereichen schon interdisziplinäre Forschung? Man darf zweifeln: Arbeitet doch jede und jeder in seiner Fachsprache mit den Methoden der eigenen Disziplin. Eine Ausgangslage, die Kommunikation und gemeinsame Problemlösung nicht gerade erleichtert. "Kann Interdisziplinarität überhaupt funktionieren, und wenn ja, wie?", fragte deshalb die 36-jährige aus Kärnten stammende Literaturwissenschafterin Doris Pichler in ihrem Vortrag über Recht und Literatur für eine interdisziplinäre Ringvorlesung.
Das Thema hat sie seither nicht mehr losgelassen. Mittlerweile erforscht sie im Rahmen einer Hertha-Firnberg-Stelle am Zentrum für Kulturwissenschaften der Universität Graz die Möglichkeiten und Grenzen von Interdisziplinarität. Zu diesem Zweck hat die promovierte Italianistin die Bereiche Recht, Wirtschaft und Literatur verbunden. "Alle drei Disziplinen sind von Sprache bestimmte Wissenschaften, in denen es auch um die Auslegung von Texten geht", erläutert Doris Pichler. "Deshalb ist es interessant, wie diese Wissenschaften selbst mit ihren Texten umgehen."
Da der Literaturwissenschaft als Textwissenschaft die nötigen Methoden zur Verfügung stehen, will Pichler diese auch auf rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Texte anwenden. Wie das gehen kann, und was das bringen soll? "Ich habe mir zum Beispiel angeschaut, mit welchen Strategien Urteilstexte bei Verleumdungsklagen gegen Autoren oder Verlage arbeiten", so die Forscherin. Im Fall des ehemaligen BZÖ-Abgeordneten Stefan Petzner etwa, der vor einigen Jahren den Czernin-Verlag wegen David Schalkos Buch Weiße Nacht verklagte, habe sie im Urteil deutliche Anlehnungen an den Romantext gefunden. "Hier zeigen sich ungewollte Grenzüberschreitungen, derer sich eine Disziplin zumindest auf der Metaebene bewusst sein sollte", so Pichler. "Da geht es um wissenschaftliche Selbstreflexion." Die nötigen Analysewerkzeuge könne man sich aus der Literaturwissenschaft entlehnen.
Dasselbe gelte auch für Wirtschaftstexte: "Da man auch hier nicht nur mit Formeln arbeitet, müssen diese Texte 'interpretiert' werden." Denn jeder Text lasse durch Stil und Wortwahl etc. verschiedene "Auslegungen" zu und könne auch manipulieren. Das will die Forscherin mit ihrer Arbeit deutlich machen und so den absoluten Rationalitätsanspruch rechtlicher und wirtschaftlicher Texte infrage stellen. Während international vor allem im Bereich Literatur und Recht bereits intensiv geforscht wird, ist Pichler in Österreich mit ihrem Thema noch relativ allein.
"Fachlichen Austausch gibt es mit zwei Kooperationspartnern aus der Wirtschaftswissenschaft bzw. Rechtsphilosophie, den Kolleginnen am Zentrum und Forschern in Deutschland, den USA, Italien und England." Ab April wird Pichler eine Forschungspause einlegen, da man im Hause Pichler das zweite Kind erwartet – das Brüderchen der zweieinhalbjährigen Helena soll im Juni kommen. Ausgedehnte Radtouren und Bergwanderungen werden heuer also seltener als sonst auf Pichlers Freizeitprogramm stehen. (Doris Griesser, 3.4.2016)