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Der Einsatz von Nanotechnologien soll eine neue Generation von Anwendungen in der Medizin und Industrie prägen. An der TU Wien werden Methoden entwickelt, um diese Technologien mit mathematischen Modellen effizient zu simulieren.

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Clemens Heitzinger forscht in der Nanowelt.

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Wien – Auf Nanotechnologien ruht viel Hoffnung, wenn es um die Entwicklung einer neuen Generation medizinischer Diagnostik und Therapien geht. Winzige Anwendungen sollen Wirkstoffe punktgenau an ihre Bestimmungsorte im Körper bringen, Zellen für diagnostische Verfahren markieren oder den Aufbau von Knochen unterstützen. Damit man Nanotechnologien, die 10.000-mal kleiner sind als ein Haardurchmesser, entwickeln und ihre Funktionsweise simulieren kann, braucht es auch mathematische Ansätze.

Eine Anwendung der Krebsdiagnostik hat auch für Clemens Heitzinger den Eintritt in die Welt der Nanotechnologie markiert. Der Mathematiker entwickelt unter anderem Modelle für Biosensoren, die etwa Tumormarker im Blut identifizieren können. Mithilfe sogenannter Nanodrähte aus einem Halbleitermaterial werden Proteine erkannt, die auf vorhandene Tumoren schließen lassen. Für Heitzinger ist das ein elektronisches System mit einer biologischen Anwendung. "Wenn ich so etwas physikalisch fundiert simulieren will, ergeben sich neue mathematischen Probleme", erklärt der Wissenschafter.

2013 wurde dem 1974 geborenen Heitzinger, der unter anderem an der Stanford University, der Arizona State University in den USA und an der britischen Cambridge University sowie an der Universität Wien forschte, der Start-Preis des Wissenschaftsfonds FWF zugesprochen. Mit diesem Preis hat er in den vergangenen Jahren am Institut für Analysis und Scientific Computing der TU Wien eine Arbeitsgruppe aufgebaut, um an sogenannten partiellen Differenzialgleichungen zu forschen, mit denen die Phänomene der Nanotechnik besser beschreibbar werden. "Mich interessiert, mathematische Modelle für neue Technologien aufzustellen, die gerade erst experimentell entwickelt werden", sagt Heitzinger. Das Start-Projekt läuft bis 2019.

Die Nanodrähte, die als Sensoren eingesetzt werden, sind etwa ein Mikrometer lang – das entspricht einem Hundertstel einer Haarstärke – und haben einen Durchmesser von 50 Nanometer, also etwa ein Zwanzigstel ihrer Länge. Die Größe der DNA-Moleküle, die damit analysiert werden, liegt bei nur zwei Nanometer. Die Moleküle werden an Rezeptoren am Draht gebunden, den eine bestimmte Spannung durchfließt. Dadurch verändern sich Leitfähigkeit und Stromfluss des Sensors.

Die Gleichungen, die Heitzinger und seine Kollegen entwickeln, haben nun die Aufgabe, die relevanten Teilsysteme dieses Vorgangs zu erfassen. "Man kann mit ihnen die Verteilung der Ladungen beschreiben. Dazugekoppelt werden Transportgleichungen für die Bewegung der Ladungen" , so der Mathematiker. "Damit bekomme ich ein System von partiellen Differenzialgleichungen für den Ladungstransport." Dieses System lasse sich mit Gleichungen für die Bewegung der Moleküle an der Außenseite verbinden.

Klein und sehr klein

Zusätzlich kann man mit gewissen Gleichungssystemen sogenannte Mehrskalenprobleme lösen, die in der Nanotechnologie häufig sind. Sowohl das Verhalten der feinen Strukturen – etwa bei der Bindung eines Moleküls – als auch die Eigenschaften des Sensors an sich sind interessant: "Möchte man alles in einer numerischen Simulation beschreiben, wäre das extrem rechenaufwendig und nicht umsetzbar", so Heitzinger. Mithilfe der partiellen Differenzialgleichungen und einer Lösung des Mehrskalenproblems lassen sich sowohl die verhältnismäßig großen als auch sehr kleine Strukturen in einem System beschreiben.

Die Rechenansätze, die auch experimentell überprüft wurden, können helfen, teure Einzelanfertigungen bei Laborversuchen einzusparen. Zudem lassen sich daraus Daten und Zusammenhänge ableiten, die man mit physikalischen Messmethoden nicht ermitteln könnte. Die Technik der Biosensoren, die der Harvard-Chemiker Charles Lieber und der Yale-Physiker Mark Reed als Erste für Tumormarker anwandten, birgt hohes Potenzial: "Jedes Molekül, das mithilfe von Antikörpern identifizierbar ist, kann das Ziel sein", so Heitzinger. Er selbst hat mit dem Austrian Institute of Technology an Nanosensoren gearbeitet, die nicht Biomoleküle, sondern giftige Gase erkennen.

Im Rahmen des Start-Projekts ist ein weiteres relevantes Phänomen der Nanowelt hinzugekommen, das es mathematisch zu beschreiben gilt. "Wenn die Systeme viel kleiner werden, spielen zufällige Bewegungen und Fluktuationen eine immer größere Rolle", erklärt Heitzinger. Um diese Ereignisse berücksichtigen zu können, finden Wahrscheinlichkeitstheorien Eingang in die Gleichungssysteme. Aus den partiellen Differenzialgleichungen werden stochastische partielle Differenzialgleichungen.

Computerchips simulieren

Diese Methode lässt sich auch in vielen Bereichen abseits der Medizin einsetzen – etwa in der Computertechnik. Heitzinger: "Mein Lieblingsbeispiel sind Mikrochips, auf denen Milliarden Transistoren in der Größe von rund 20 Nanometer angeordnet sind, die aber physikalisch nicht alle vollkommen gleich sein können. Trotz dieser Schwankungsbreite müssen alle funktionieren. Mithilfe unserer Rechenmodelle können wir derartige Systeme optimal numerisch simulieren." (Alois Pumhösel, 3. 4.2016)