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Aufmerksamkeit schaffen: Begehbare Darmmodelle wie dieses sollen die Menschen zur Darmspiegelung animieren. Die Untersuchung ist echte Vorsorge: Dabei wird nicht nur nach Krebs gesucht, gutartige Polypen werden auch gleich entfernt.

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EbM-Experte Gerald Gartlehner nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

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Vorneweg braucht es erst einmal einen genaueren Blick auf zwei Begriffe: Vorsorge und Früherkennung. Die beiden Wörter werden oft synonym verwendet – bedeuten aber etwas völlig Unterschiedliches:

  • Vorsorge hat den Zweck, eine Erkrankung zu verhindern beziehungsweise sie so unwahrscheinlich wie möglich zu machen. Eine Ernährungsumstellung wäre beispielsweise eine Vorsorgemaßnahme.
  • Früherkennung soll eine Erkrankung so früh wie möglich erkennen, aber – und das ist der entscheidende Punkt – sie hat keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, ob die Erkrankung auftritt. Mit einer Früherkennung wird, zumindest im ersten Schritt, nichts gegen die Erkrankung getan, es wird nur nach ihr gesucht. Eine Mammographie hat nicht zum Ziel, Brustkrebs zu verhindern, sie will ihn nur so früh wie möglich finden.

Wer an einem Früherkennungsprogramm teilnimmt, hat also nichts gegen eine Erkrankung unternommen. Solche Programme verhindern keine Erkrankungen. Im besten Fall mildern sie die Folgen ohne selbst große Nebenwirkungen zu haben, aber das hängt von der Zielgruppe ab und von der Qualität des Programms.

Darmspiegelung ist meist echte Vorsorge

Die meisten Untersuchungen sind also keine Vorsorge, sondern der Versuch einer Früherkennung. Die große Ausnahme ist die Darmkrebsvorsorge – denn dabei wird nicht nur nach Krebs beziehungsweise nach Krebsvorstufen gesucht, sondern gutartige Auffälligkeiten (Polypen) werden im Zuge einer Darmspiegelung auch gleich entfernt. Weil sich Polypen zu Krebs entwickeln können, ist die Darmspiegelung meist mehr als eine Früherkennung, nämlich eine echte Vorsorgemaßnahme, die das Risiko an Darmkrebs zu erkranken nachweislich senkt.

Das klingt zu Recht gut, die Darmspiegelung kann damit wohl empfohlen werden. Warum ging dann kürzlich die Meldung durch die Medien, dass ein Gremium in Kanada plötzlich von der überall sonst mehr oder weniger empfohlenen großen Darmspiegelung abrät?

Tiefere Einblicke wirkungsvoller?

Dafür müssen wir noch einmal einen Begriff genauer betrachten: Im Grunde gibt es zwei Varianten der Darmspiegelung – eine kleine und eine große. Die große Darmspiegelung heißt Koloskopie, die kleine nennt sich Sigmoidoskopie.

Bei der kleinen Darmspiegelung werden nur etwa die letzten 60 Zentimeter des Dickdarms untersucht, bei der großen Darmspiegelung der gesamte Dickdarm (insgesamt etwa 1,5 Meter). Die Wirkung der kleinen Darmspiegelung ist gut untersucht: Sie kann die Gefahr, an Darmkrebs zu sterben, um zirka ein Drittel reduzieren.

Wenn die kleine Darmspiegelung schon so gut wirkt, müsste es theoretisch noch besser sein, den ganzen Darm abzusuchen und von Polypen zu befreien. Genau aufgrund dieser Überlegung wird die große Darmspiegelung ab einem Alter von 50 Jahren alle fünf Jahre empfohlen. Das Problem: Bisher hat man sich mit der theoretischen Überlegenheit zufrieden gegeben. Ob die große Darmspiegelung wirklich mehr Leben rettet oder mehr Erkrankungen verhindert, wurde in Studien bisher nicht bewiesen. Was man aber sehr wohl weiß: Die große Darmspiegelung ist riskanter und aufwendiger als die kleine und schwere Nebenwirkungen sind zehn Mal häufiger.

Fazit: Unerklärbare Forschungslücke

Die Darmkrebsvorsorge ist im Bereich der Krebs-Screening-Untersuchungen eine erfreuliche Ausnahme – eine Untersuchung mit nachweislichem Erfolg in der Disziplin "Leben retten". Umso verwunderlicher ist die Forschungslücke beim Vergleich zwischen großer und kleiner Darmspiegelung. Weder Patienten noch Ärzte können mit Sicherheit entscheiden, welche der beiden Untersuchungen sinnvoller ist. Die größeren Nebenwirkungen des aufwendigeren Eingriffs sind sicher, der größere Nutzen ist hingegen unklar.

Daher rät das kanadische Gremium zur kleinen Darmspiegelung und von der großen ab – denn sie wollen keine Methode empfehlen, deren Verhältnis von Nutzen und Schaden im Vergleich zu anderen erfolgreichen Methoden völlig offen ist. (Gerald Gartlehner, 1.4.2016)