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Eine Lehre gilt in vielen Familien nicht unbedingt als Einstieg zum Aufstieg auf der Karriereleiter.

Foto: dpa/Arne Dedert

STANDARD: Der Arbeitsmarkt in Österreich bleibt höchst angespannt. Die Zeitarbeitsbranche gilt als Gradmesser wie sehr, weil Zeitarbeiter in Krisen als Erste gehen müssen. In welchen Branchen zeichnet sich Erholung ab, wo wird es noch länger düster aussehen?

Lercher: Im Bau- und Baunebengewerbe ist es für uns momentan schwierig, weil viele Arbeiten an Subunternehmer, unter anderem auch über die Grenze, ausgelagert werden. Laut dem burgenländischen AK-Chef Thomas Lehner gab es bei Schwerpunktprüfungen an den Grenzen 80 Prozent Verstöße gegen das Lohn- und Sozialdumpinggesetz. Wenn da wirklich 50.000 bis 70.000 über die Grenze einpendeln und die Arbeitsplätze in Österreich besetzen, ist es kein Wunder, dass unsere Arbeitslosen auf der Ersatzbank sitzen und die Billigeren diese Jobs bekommen.

STANDARD: Hilfskräfte aus dem Osten sind derzeit ein großes Thema. Die EU-Kommission entschärft den Entwurf zur Entsenderichtlinie etwas. Aber bei weitem nicht so energisch, wie von Bundeskanzler Werner Faymann gefordert.

Lercher: Klar. Das ist ein Spezifikum Österreichs, weil wir von vielen Billiglohnländern umgeben sind. Wenn Ungarn im eigenen Land um 500 Euro, Slowaken oder Tschechen in ihren Ländern um 600 oder 700 Euro arbeiten und mit einer halben Stunde Anfahrt das Doppelte bis Dreifache verdienen, liegt es nahe, dass sie sich auf den Weg machen.

STANDARD: Einerseits hieß es lange, dass nicht allzu viele kommen, andererseits haben österreichische Firmen sie mit Handkuss genommen. Jetzt wird im Burgenland nach scharfen Maßnahmen gerufen, man will Hereinarbeitende strenger an die Kandare der Entsenderichtlinie nehmen, mehr Finanzpolizisten, eine Beschränkung der Personenfreizügigkeit. Ist das nicht Rosinenpicken?

Lercher: Natürlich kann man als EU-Mitglied nicht auf andere Regeln pochen. Aber wir haben das Lohn- und Sozialdumpinggesetz. Wir müssen es schaffen die geltenden Regeln einzuhalten, und zwar für alle. Jetzt ist es wie in der Rettungsgasse. Wir stehen links und rechts, und die rumänischen, ungarischen, slowakischen Kennzeichen fahren in der Mitte durch. Diese Menschen kennen unsere kollektivvertraglichen Regelungen nicht und fordern deswegen auch nichts, was ihnen eventuell zusteht. Wenn ein Ungar in Österreich das Doppelte bekommt, glaubt er, er ist auf der Gewinnerseite. Wenn herüben Subunternehmen aus dem benachbarten Ausland beim Bau-, und Baunebengewerbe Ausschreibungen gewinnen, dann deswegen, weil sie billiger sind, weil sie billigere Arbeitskräfte haben. Die Lösung kann nur strengere Kontrolle sein.

STANDARD: Wie soll das gehen?

Lercher: Wenn man sich schon an der Grenze jedes Auto anschaut und sieht, dass jemand mit Arbeitskleidung und einem Kofferraum voller Werkzeug nach Österreich kommt, wird er nicht Urlaub machen. Die verschärften Kontrollen sind eine gute Maßnahme und werden auch Steuern fürs Land bringen und unseren Arbeitslosen, die auf der Reservebank sitzen, helfen.

STANDARD: Wir haben sehr viele Arbeitslose, und trotzdem wird heftig über Fachkräftemangel geklagt. Woran mangelt es?

Lercher: Den Fachkräftemangel bekommen wir nur in den Griff, wenn wir die Älteren länger in Beschäftigung halten und nicht 50-Jährige mit Expertise arbeitslos machen. Und die Lehre muss wieder attraktiv werden. Jetzt heißt es oft, wenn du die Matura nicht schaffst, machst du halt eine Lehre. Dabei wäre mancher Akademiker glücklich, würde er so viel verdienen wie ein Spezialist mit Lehre und über Jahre erworbenen Zusatzqualifikationen.

STANDARD: Sie haben selbst eine Lehre gemacht. Ist die Ausbildung noch zeitgemäß?

Lercher: So ist es. Ich bin mit einer Lehre gestartet und heute Konzernchef für Österreich mit ein paar Tausend Beschäftigten und mit ein paar 100 Millionen Euro Umsatz. Das Modell Lehre muss man überdenken. Wenn heute in Österreich Grundvoraussetzung ist, dass jeder Matura hat, muss man es eben auch schaffen, dass die Lehre so gestaltet ist, dass die Matura berufsbegleitend mitläuft. Die Berufsbilder modernisieren sich, digitalisieren sich, entwickeln sich weiter. Bei einem Staplerarbeiter reicht es heute nicht mehr, dass er einen Staplerschein hat. Er braucht heute eine ordentliche Logistikausbildung und muss mit Computersystemen umgehen können.

STANDARD: Sie haben bei Trenkwalder auch als Zeitarbeiter begonnen. Österreichs Zeitarbeiter sind zumindest rechtlich recht gut abgesichert. Das Image hat sich aber nicht verbessert. Ist Zeitarbeit nicht eine Sackgasse?

Lercher: In Österreich gibt es den Kollektivvertrag schon seit 2002. Ebenso den akademischen Personaldienstleister in der Ausbildung. Wir sind seit Jahren. Die Rechtssicherheit, dass ein Zeitarbeitnehmer gleich entlohnt werden muss, wie der fix Beschäftigte, gibt es ebenfalls seit 2002. Im Gegensatz zu Deutschland hat man in Österreich Zeitarbeiter nie ins Unternehmen genommen, weil sie billiger sind.

Aber was man in Österreich gemacht hat, ist Flexibilisierung. Diese Möglichkeiten gibt es außerhalb der Zeitarbeit kaum. Flexibilisierung ist aber notwendig für den Standort Österreich. Studien zeigen, dass in Ländern, wo Zeitarbeit sehr entwickelt ist, die Schwarzarbeiterquote und die Arbeitslosenquote rückgängig ist. Von den 75.000 Personen, die wir im Schnitt beschäftigen, waren im letzten Jahr 50 Prozent vorher arbeitslos. 72 Prozent all unserer Menschen werden von Kunden fix übernommen.

STANDARD: Die neugekommenen Flüchtlinge werden über kurz oder lang am Arbeitsmarkt sein. Laut AMS-Kompetenzcheck sind manche gut ausgebildet, manche ziemlich schlecht. Werden Sie viele von ihnen vermitteln?

Lercher: Vermitteln kann man erst, wenn die Personen Arbeitslosenstatus haben. Ich mache keinen Unterschied zwischen Arbeitslosen, die schon länger in Österreich sind, und neu Dazugestoßenen. Voraussetzung ist das Beherrschen der deutschen Sprache, nicht nur Grundvokabular, sondern irgendwann auch branchenspezifisch. Ob der Arbeitsmarkt sie aufnehmen kann, wird sich zeigen. Wir haben fast 500.000 Arbeitslose, die wir auch unterbringen müssen.

STANDARD: Der Jobzuwachs reicht nicht, um genug Arbeitsplätze zu schaffen. Woran mangelt es?

Lercher: Ich sehe bei Wirtschaftstreibenden kaum Investitions- oder Risikobereitschaft. Tut die Politik alles, dass alle Unternehmer glauben, dass dieser Standort für sie die nächsten zehn bis 15 Jahre der richtige ist? Könnten wir diese Frage mit Ja beantworten, hätten wir wieder mehr Aufbruchstimmung. ( Regina Bruckner, 3.4.2016)