Eisenerz – "Hier sind sie gelegen. Wer Glück gehabt hat, war tot, die anderen sind schwer verletzt liegen geblieben", erzählt ein älterer einheimischer Herr mit Wanderhut. Seine Zuhörer haben sich am Präbichl um ihren Bus versammelt und hören dem Eisenerzer Walter Dal-Asen aufmerksam zu.

Die Sonne scheint. Der Schnee glitzert. Im Hintergrund hört man das gleichmäßige Surren eines Skiliftes. Gegenüber lädt das Gasthaus "Alpenrose" zum Verweilen. Die Grazer Gruppe von Historikern, Künstlern und Journalisten nutzt den ersten Stopp auf ihrer – vom Hamburger Journalisten Günther Jacob und dem Forum Stadtpark organisierten – Exkursion in die Region Eisenerz für eine Rauchpause.

"Jeder, der mir einen Juden erschießt, meldet sich bei mir und bekommt dafür eine Zigarette", hat der Eisenerzer SA-Mann Krenn, so erzählt Zeitzeuge Dal-Asen, den Eisenerzern 1945 zugerufen, als 3000 Juden auf dem To- desmarsch über den Präbichl hinunter nach Eisenerz getrieben wurden. Von den 3000 "dürfen nur noch 2000 obikummen", hatte Krenn seinen Leuten erklärt, die dann in die Menge schossen.

Ein Massaker, von dem heute niemand mehr spricht. Genauso wenig wie über den Friedhof neben dem Leopoldsteiner See, wo gegenüber vom ehemaligen Jagdschloss Görings jene etwa 300 ungarischen Juden begraben liegen. Auf einem Grundstück, zu dem nicht einmal ein Weg führt.

Dal-Asen am Friedhof: "Oft hab' ich hier schon junge Menschen gefragt, ob sie denn wüssten, was hier los war und was das (Anm.: der Friedhof) ist, aber die haben alle keine Ahnung. In der Schule hören sie auch nix darüber." Auf dem Gedenkstein auf dem Massengrab steht als letzte Zeile eines Gedichtes in Hebräisch, Deutsch und Ungarisch "Stumme Mahner seid ihr!"

Stumm waren hier aber auch alle anderen. Nur einer spricht, forscht, sucht und sammelt: Walter Dal-Asen, der als Zeitzeuge mitten unter den Eisenerzern lebt und unbefangen und mutig über die dunkle Vergangenheit erzählt. "Das Besondere an ihm ist", so Günther Jacob, "dass er ein Erzähler der Tätergesellschaft ist." Einer, der persönlich nichts davon hat, wenn die Vergangenheit zutage gefördert wird.

"Verschwundenes" KZ

Walter Dal-Asen besitzt ein Archiv, um das ihn Historiker beneiden: Dokumente, Fotos, Protokolle. So ziemlich alles, was nach dem Krieg in dieser Region nicht verschwunden ist. Ver- schwunden ist sogar ein ganzes Konzentrationslager samt Gaskammer und Krematorium im Erzberg, das man in den 50ern mit taubem Gestein buchstäblich zugeschüttet hat. Das "K-L. Eisenerz" oder auch KZ Fiestawiese ist im Rapportbuch des KZ Mauthausen erwähnt und diente von Juni 1943 bis 14. 3. 1945 als Außenstelle. Weniger als die Hälfte der 527 Häftlinge haben überlebt. Die Gaskammer wurde nicht mehr in Betrieb genommen, da das Kriegsende schneller kam, als die Nazis gedacht hatten. Auch die Gleisstrecke, die direkt nach Mauthausen führen sollte, wurde nicht fertig gestellt.

Daneben gab es aber in Eisenerz noch fünf Lager für Zwangsarbeiter und ein extra Lager für 600 bis 800 Wiener Juden, die bis 1941 im "geschlossenen Arbeitseinsatz" waren. Der Erzberg war einer der wichtigsten Lieferanten der reichsdeutschen Rüstungsindustrie und wurde 1939 Teil der "Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten Hermann Göring".

Dort wo in den 90ern ein "Erlebnis-Schaubergwerk" entstand, wurden Tausende Menschen gequält und ermordet und ihre Leichen verschart oder verbrannt. Den Touristen erzählt man freilich lieber vom sagenhaften Wassermann im Berg und von den Römern, die, so Dal-Asen, "in Wirklichkeit nie am Erzberg waren", als von der weit jüngeren Geschichte der Region – von Zeiten, in denen tagelang der Geruch von verbrannten Menschen über dem Tal lag.

Das Projekt "Steirisches Erz" wird im Forum Stadtpark mit einem Seminar (7. April) und einer Ausstellung im Juni 2001 fortgesetzt. (März 2001)