Der Künstler Samson Young bei der Arbeit.

Foto: Samson Young

"Wem die Stunde schlägt: Eine Reise durch die Klanggeschichte von Konflikten". Mit diesem Projekt gewann der Klangkünstler Samson Young aus Hongkong im Vorjahr den ersten BMW Art Journey Award. Der Preis ermöglichte dem Künstler, durch fünf verschiedene Kontinete zu reisen und den Klang von Glocken aufzuzeichnen. Seine Recherchen führten ihn nach Myanmar, Köln, Australien, in die USA und auch nach Wien. Auf der Art Basel Hongkong präsentierte der Künstler nun sein Projekt in Form eines poetischen Multimedia-Stadtspaziergangs.

STANDARD: Wie kamen Sie auf die Idee für das Glockenprojekt und was wollen Sie damit aussagen?

Young: Bei meinem letzten Projekt habe ich mich mit dem Klang von Explosionen, speziell von Kanonen, beschäftigt. Von da an begann auch mein Interesse für Glocken, weil Kanonen und Glocken historisch in einer sehr engen Beziehung zueinander stehen. Sie bestehen aus demselben Material, aus eingeschmolzenen Glocken wurden oft Kanonen gegossen. Aber auch ein anderer Aspekt ist interessant: Vor der Industrialisierung gab es nur diese zwei Sorten von Objekten, mit denen es möglich war, die Geräusche der Natur zu übertönen. Für den BMW Art Journey Award brauchte ich ein möglichst einfaches Objekt, das universell vorkommt.

STANDARD: Welche Rolle spielen Glocken in der chinesischen Tradition?

Young: Ich denke, es ist dasselbe wie in Europa. Es ging da viel um religiöse Zeremonien, sie wurden auch benutzt, um wichtige Ereignisse im Kalender einzuläuten. Religion und Zeit sind, denke ich, universelle Aufgaben von Glocken. Es ist auch schwierig festzustellen, wo die Glocke nun tatsächlich erfunden wurde, denn sobald die Menschen Bronze hatten, könnten sie theoretisch schon erste Glocken-artige Dinge verwendet haben.

STANDARD: Sie haben auch den Klang der Wiener Pummerin aufgenommen. Was war das Besondere daran?

Young: Nun, sie klingt einfach wundervoll. Von allen Glocken, die ich aufgenommen habe, macht die Pummerin eigentlich den schönsten Klang. Sie hört sich sehr musikalisch an, ist sehr harmonisch, interessant anzuhören, speziell in Kombination mit den kleineren Nebenglocken. Die läuten am Nationalfeiertag und da habe ich sie aufgenommen. Und natürlich ist die Geschichte der Pummerin interessant. Die alte Glocke wurde ja zum Beispiel im Krieg eingeschmolzen. In meinem Multimedia-Walk auf der Art Basel Hongkong habe ich den Pummerin-Klang viel genutzt.

STANDARD: Wollen Sie die Sounds auch anderweitig verwenden?

Young: Ja, definitiv. Ich werde Objekte machen, Installationen, Performances, ganz verschiedene Sachen.

STANDARD: Sie haben Musik studiert. Hat da Wien irgendeine spezielle Bedeutung für Sie?

Young: Im Musikbereich reden natürlich alle ständig über Wien, das ist klar. Aber ich persönlich habe weniger eine professionelle Beziehung zu der Stadt, sondern eine persönliche. Eine gute Freundin von mir, eine Violinistin, kommt aus Wien. Über sie habe ich die Stadt etwas kennengelernt.

STANDARD: Welches Verhältnis haben Sie zur chinesischen Kunstszene? Wie hat sie sich verändert?

Young: Ehrlich gesagt sind wir hier in Hongkong ziemlich isoliert von der chinesischen Szene. Natürlich stellen wir auch in "Mainland-China" aus oder machen Projekte dort. Aber das ist eine völlig andere ökonomische Realität.

STANDARD: Wie steht es um die Zensur?

Young: Ich kann hier nur für Hongkong sprechen. Da haben wir eher ein Problem mit Selbstzensur, viele tendieren dazu, zu konservativ zu werden. Sie machen im Endeffekt nicht das, was sie ursprünglich machen wollten. Bei den chinesischen Künstlern macht meiner Meinung nach speziell die jüngere Generation exzellente Arbeit.

STANDARD: Was macht sie anders als frühere Generationen?

Young: Sie sind nicht mehr so sehr an den nationalen Identitätsfragen interessiert, sie öffnen sich mehr nach außen.

STANDARD: Sind sie unpolitischer geworden?

Young: Ja, in gewisser Hinsicht. Ich meine Künstler sollten immer daran interessiert sein, was rund um sie passiert. Aber es gibt mehr Aspekte im Leben als Politik – zum Beispiel persönliche Beziehungen. Künstler sollten all das zu gleichen Teilen behandeln, kein Aspekt des Lebens sollte in der Kunst zu kurz kommen.

STANDARD: Sind Sie selbst interessiert daran, Systemkritik zu üben?

Young: Einige meiner Arbeiten sind politisch. Aber wenn ich eine politische Arbeit mache, dann möchte ich damit niemandem einfach meine Meinung aufdrücken. Ich möchte das nicht als einzig mögliche Wahrheit verkaufen. Alle Meinungen sind Resultate von vorher aufgenommenen Informationen. Daran möchte ich mich bei meinen Arbeiten halten. Es geht mehr um Bildung, um Informationsgewinn, als um direkte politische Aktion.

STANDARD: Wohin geht die Kunstszene in Hongkong?

Young: Es wird interessanter von Jahr zu Jahr. Wir haben mehr Projekte, es wird internationaler, ich bin sehr optimistisch was die Szene betrifft.

STANDARD: Wie stehen Sie zum Kunstmarkt und zu großen Messen wie der Art Basel?

Young: Kunst soll alle Faszinationen des Lebens behandeln und Ökonomie, damit auch der Kunstmarkt, ist eine davon. Das Problem sind nicht die großen Messen, problematisch wäre aber, wenn es nur noch sie gäbe. Was es in Hongkong noch zu wenig gibt, ist wirklich unabhängiger Raum für Kunst. Die, die es gibt, machen gute Arbeit, aber in Summe gibt es zu wenig nicht-kommerzielle Einrichtungen. Genauso brauchen wir gute Magazine und gute Kritiker. (INTERVIEW: Stefan Weiss, 1.4.2016)