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In Dikili protestierten am Samstag Hunderte Demonstranten gegen die geplante Aufnahme von Migranten.

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Die EU-Grenzschutzagentur Frontex plant in den kommenden Tagen, 750 Asylsuchende von den Ägäis-Inseln in die Türkei zurückzubringen.

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Im Flüchtlingscamp von Idomeni wächst die Furcht der Flüchtlinge vor einer Rückführung.

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Athen/Ankara/Wien – Mit Hochdruck wird auf griechischer und türkischer Seite die Umsetzung des umstrittenen Flüchtlingspaktes vorbereitet: Von Montag bis Mittwoch sollten die ersten 750 Flüchtlinge von den Ägäis-Inseln in die Türkei zurückgebracht werden, meldete die griechische Nachrichtenagentur ANA. Lokale Behörden sind nach eigenen Angaben allerdings noch nicht ausreichend auf die Ankunft der Migranten vorbereitet. In Deutschland werden unterdessen am Montag die ersten Syrer aus der Türkei erwartet.

Laut der Agentur ANA hat die EU-Grenzschutzagentur Frontex zwei türkische Schiffe gechartert, die von Montag bis Mittwoch 750 Flüchtlinge von Lesbos in den türkischen Hafen Dikili befördern sollen. 400 Frontex-Beamte würden am Wochenende auf Lesbos erwartet. Jeder von ihnen solle dann jeweils einen Flüchtling auf die Abschiebe-Schiffe bringen, berichtete ANA.

Auf türkischer Seite wurde der Bau von Registrierungszentren gestartet, von denen die zurückgenommenen Flüchtlinge dann weiterverteilt werden sollen. In Cesme gegenüber der griechischen Insel Chios legten Arbeiter Wasserleitungen und Kabel in einer 500 Quadratmeter großen Anlage, wie Bürgermeister Muhittin Dalgic sagte. Vorgesehen sind dort Zelte für die Abnahme von Fingerabdrücken sowie sanitäre Anlagen.

Provisorische Unterkünfte

Das zweite Registrierungszentrum entsteht in Dikili gegenüber von Lesbos. TV-Bilder zeigten von dem Areal am Samstag nur Brachland. Der Tageszeitung "Milliyet" zufolge sollen die ersten Flüchtlinge provisorisch in einer Turnhalle untergebracht werden. In Dikili protestierten am Samstag Hunderte Demonstranten gegen die geplante Aufnahme von Migranten.

Der Bürgermeister des westtürkischen Küstenbezirks Dikili, Mustafa Tosun, sagte einer Presse-Agentur am Sonntag: "Selbst ich als Bürgermeister habe bezüglich der Flüchtlinge leider keinerlei Informationen von den Verantwortlichen in Ankara erhalten."

Er wisse weder, ob und wie viele Flüchtlinge am Montag aus Griechenland in Dikili ankommen noch wo diese untergebracht werden sollen. Es sei bedauerlich, dass die Regierung in Ankara die lokalen Behörden und Zivilorganisationen nicht über ihre Pläne informiert habe. Türkische Medien hatten über ein geplantes Aufnahmezentrum in Dikili für die aus Griechenland zurückgeschickten Migranten berichtet.

Tosun, Mitglied der größten Oppositionspartei CHP, sagte, er habe auch nur durch die Medien von der geplanten Flüchtlingsunterkunft erfahren. Er sei jedoch generell dagegen, dass die Schutzsuchenden dauerhaft in Dikili bleiben. "Wir sind dafür nicht ausgestattet", sagte er. Die Region sei nicht in der Lage, die Migranten zu versorgen oder den Kindern ausreichend Schulplätze zur Verfügung zu stellen.

400 Flüchtlinge erwartet

Die türkische Regierung erwartet am Montag rund 400 Flüchtlinge und Migranten, die im Zuge des Flüchtlingspaktes von Griechenland in die Türkei zurückgebracht werden. Innenminister Efkan Ala sagte am Sonntag im Bezirk Bodrum vor Journalisten, die Zahl könne jedoch noch steigen. Die Flüchtlinge würden zunächst in Aufnahmezentren verschiedener Bezirke untergebracht.

Syrer würden im Anschluss im Land verteilt und etwa in eines der Flüchtlingslager im Süden der Türkei gebracht, sagte Ala. Flüchtlinge anderer Nationalitäten wie etwa Afghanen oder Pakistaner würden in ihre Länder abgeschoben

Frontex-Einsatz

"Die Planungen schreiten voran", sagte ein griechischer Regierungsbeamter, ohne die Zahl 750 zu bestätigen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte der "Heilbronner Stimme", Deutschland und Frankreich hätten die Entsendung von 200 Asylexperten und 200 Polizisten für den Frontex-Einsatz angeboten. Die Regierungen in Litauen und Estland gaben bekannt, 25 bzw. 20 Beamte schicken zu wollen. Eine Frontex-Sprecherin sagte der "Welt am Sonntag", es fehle noch die Hälfte des nötigen Personals von 1.500 Beamten. Bisher hätten die EU-Staaten 700 Beamte und 44 Rückführungsexperten zugesagt.

Das griechische Parlament hatte erst am Freitagabend ein Gesetz gebilligt, um die Zwangsabschiebung aller Neuankömmlinge in die Türkei auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Demnach können Einwanderer in einen als sicher eingestuften Drittstaat zurückgeschickt werden.

Zweifel an Türkei als sicherer Rechtsstaat

Allerdings bestreitet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International vehement, dass die Türkei als sicherer Drittstaat einzustufen sei: Nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation schickt Ankara weiter täglich hundert Syrer in ihr Bürgerkriegsland zurück, darunter Frauen und Kinder. Auf den griechischen Inseln gab es in den vergangenen Tagen massive Flüchtlingsproteste gegen ihre Internierung und die drohenden Abschiebungen in die Türkei.

Bundespräsident Heinz Fischer bekräftigte vor diesem Hintergrund seine Skepsis gegenüber dem EU-Türkei-Deal. "Wenn sich das fortsetzt, wird man in den Gremien der Europäischen Union sicher neuerlich die Situation ernsthaft diskutieren müssen", sagte Fischer am Samstag im Ö1-"Mittagsjournal". Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte bereits am Freitagabend gefordert, dass Ankara "die Menschen nicht in Kriegsgebiete zurückschickt".

Abkommen mit Ankara

Zum Abkommen mit Ankara gehört, dass die EU für jeden zurückgenommenen Syrer einen anderen Syrer auf legalem Wege aufnimmt. Deutschland will laut dem Innenministerium in Berlin bis zu 15.100 Syrer aufnehmen. In Hannover sollen am Montag die ersten knapp 40 Flüchtlinge empfangen werden. Auch in den Niederlanden wurden am Montag oder Dienstag die ersten Syrer erwartet. Die Kandidaten für die Umsiedlung werden von den türkischen Migrationsbehörden vorgeschlagen und vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geprüft.

Aus dem Innenministerium in Wien hieß es, es gebe "derzeit noch keine zeitliche Perspektive" für die Aufnahme von Flüchtlingen in Österreich. Laut Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck hat Österreich seinen Anteil an der EU-internen Flüchtlingsverteilung ("Resettlement") schon großteils erfüllt. 1.900 Flüchtlinge sollten aufgenommen werden, 1.400 seien schon im Land, 100 warteten auf die Einreise. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sagte, beim EU-Türkei-Deal werde "keine große Zahl" zusammenkommen. "Denn so viele selbstlose Syrer wird es nicht geben, die einen Schlepper bezahlen, um dann wieder zurückgeschickt zu werden und so einem anderen Syrer den Weg nach Europa ermöglichen", sagte er der Schweizer Boulevardzeitung "Blick" (Freitagsausgabe).

Während die deutschen Behörden am Samstag einen neuen Tiefstand bei den Flüchtlings-Neuankünften bekanntgaben – 20.000 Personen im gesamten März -, wollten Mikl-Leitner und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil keine Entwarnung geben. "Wir wissen, dass in einigen Tagen das Wetter besser und wärmer wird und dass sich ab dann wieder Hunderttausende auf den Weg machen", sagte Mikl-Leitner dem "Münchner Merkur" (Samstagsausgabe). Wegen der Verlagerung der Flüchtlingsströme in Richtung Italien kündigte Doskozil in der "Welt" (Samstagsausgabe) "massive Grenzkontrollen am Brenner, auch mit Soldaten", an. Mikl-Leitner sagte, dass man dabei auch Staus im Urlauberverkehr in Kauf nehme.

Kroatien wird höchstens 1.600 Flüchtlinge aufnehmen

Anders als andere mitteleuropäische Länder will sich Kroatien am EU-System zur Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. "Wir haben in Kroatien prinzipiell zugestimmt, dass wir höchstens 1.600 Flüchtlinge akzeptieren", sagte Außenminister Miro Kovač. Er kritisierte die Blockade der mazedonischen EU-Annäherung, formulierte aber gleichzeitig Bedingungen für einen EU-Beitritt Serbiens.

Die neue Mitte-Rechts-Regierung stehe zur Zusage ihrer linksgerichteten Vorgängerin in Bezug auf die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU. Doch stelle sich "die Frage, ob die Migranten überhaupt in Kroatien bleiben wollen", sagte Kovac. Allein in den vergangenen zwei Wochen hätten 200 Flüchtlinge das Land verlassen. "Die Migranten gehen einfach am liebsten nach Deutschland, Schweden, in die Niederlande, aber auch nach Österreich, und es wird nicht einfach sein, sie davon abzuhalten." Daher sei es so wichtig gewesen, die Balkanroute zu schließen, als Signal, "dass nicht alle Migranten dieser Welt nach Europa kommen können".

Angespannte Lage unter den Flüchtlingen

Die Lage in die Türkei und in Griechenland bleibt unterdessen angespannt. Im und um das Elendslager von Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze kam es am Samstag und in der Nacht auf Sonntag zu Streitigkeiten unter Migranten.

Reporter vor Ort berichteten im griechischen Fernsehen, auch Journalisten seien mit Messern bedroht worden, als sie die Auseinandersetzungen filmen wollten. Rund um den Hafen des Inselhauptortes von Chios harren weiterhin etwa 800 Menschen aus, die am Freitag aus einem Auffanglager ausgebrochen waren. Sie weigern sich, in die Türkei zurückgebracht zu werden: "Ich werde mich dann ins Meer werfen", sagte ein junger Migrant im griechischen Fernsehen am Sonntag.

Das Heer in Ungarn hat unterdessen erneut den Grenzschutz an der ungarisch-serbischen Grenze verstärkt. Als Grund für diese Maßnahme werden vermehrte Grenzverletzungen genannt. Laut Aussendung des Verteidigungsministeriums vom Sonntag, wurde auf Ersuchen des Innenministeriums mit der personellen Verstärkung verschiedener Abschnitte der Südgrenze begonnen. (APA, 3.4.2016)