Wien – ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol möchte im Falle eines Wahlsieges einen Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Mitgliedsstaaten abhalten, um zu diskutieren, "wie wir im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsam die Außengrenzen schützen können". Im STANDARD-Interview kündigt er zudem sozialpolitische Initiativen an und verrät, warum er sich für die Kosten seines Wahlkampfes überhaupt nicht interessiert.

STANDARD: Sie treten im Wahlkampf viel mit Familie auf. Es gab ein Doppelinterview mit einer Ihrer Töchter, Auftritte mit Ihrer Frau, eine Veranstaltung ist mit Ihrer bekannten Schwiegertochter Nazan Eckes geplant. Hat Andreas Khol allein zu wenig Strahlkraft?

Khol: Nein, auch wenn wir keine First Lady haben, spielt die Frau des Bundespräsidenten einfach eine gewisse Rolle. Aber natürlich soll mit den Auftritten das Image aufgelockert werden. Also: der bunte Khol und nicht nur der schwarze Khol.

STANDARD: Wie fällt Ihre erste Zwischenbilanz nach ein paar Wochen Wahlkampf aus? Ist es anders, wenn man selbst Hauptprotagonist ist?

Khol: Es ist völlig anders, total personalisiert. Ich habe aber das Glück, dass die Partei voll mobilisiert. Das ist für mich persönlich total aufbauend, ganz anders als bei einem normalen Wahlkampf.

"Dass es einen großen Frust gibt, der viel größer ist, als es die Lage rechtfertigen würde, ist unbestritten", sagt Andreas Khol.
fischer

STANDARD: Warum haben Sie eigentlich noch nicht veröffentlicht, wie viel Spenden Sie bisher gesammelt haben?

Khol: Ich habe keine Ahnung. Ich habe mit Finanzen nichts zu tun.

STANDARD: Sie wissen nicht, wie hoch das Wahlkampfbudget ist oder wie viel von der Partei kommt?

Khol: Ich weiß es nicht. Ich will es auch gar nicht wissen.

STANDARD: Sollte man das als Kandidat nicht wissen?

Khol: Nein, man wird sich an das Gesetz halten und das, was politisch klug ist. Das beurteilen die, die es zu verantworten haben.

STANDARD: In den Umfragen liegen Van der Bellen, Hofer und meist auch Griss klar vor Ihnen. Beunruhigt Sie das nicht?

Khol: Es beunruhigt mich gar nicht. Es gibt so viele Unentschlossene, die Umfragen haben so hohe Fehlerquoten. Ich muss vielleicht vier, fünf Prozent bewegen. Das ist machbar. Das ist sogar in der letzten Woche vor der Wahl noch machbar.

STANDARD: Ist die Regierungsbeteiligung derzeit ein Malus für die Kandidaten von SPÖ und ÖVP?

Khol: Dass es einen großen Frust gibt, der viel größer ist, als es die Lage rechtfertigen würde, ist unbestritten. Das spüren natürlich die Kandidaten, die von den Regierungsparteien unterstützt werden. Auf der anderen Seite haben gerade diese Parteien einen Apparat, der mobilisierbar ist. Also hält sich der Nachteil mit dem Vorteil die Waage.

STANDARD: Van der Bellen und Hofer, zum Teil auch Griss, reden viel darüber, wie sie das Amt aktiver, machtbewusster auslegen würden. Bleiben Sie da mit dem Image des trockenen Verfassungsrechtlers nicht auf der Strecke?

Khol: Nein. Ich plane eine Reihe von großen Initiativen. Ich möchte das Amt des Bundespräsidenten neu gestalten und Österreich stärken. Wenn ich gewählt werde, möchte ich eine gesamteuropäische Initiative ergreifen, wie wir im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsam die Außengrenzen schützen können.

Sollte er in die Hofburg einziehen, möchte ÖVP-Kandidat Andreas Khol einen Beauftragten installieren, der ihn beraten soll, wie man den Anliegen von behinderten Menschen ein stärkeres Augenmerk verschaffen kann.
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STANDARD: Was darf man sich unter dieser Initiative vorstellen?

Khol: Ich werde die Staatsoberhäupter und Regierungschefs der 28 EU-Mitgliedsstaaten einladen. Es geht um den Schutz der Außengrenzen durch europäisches Heer – unter Beteiligung des neutralen Österreich. Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sieht vergemeinschaftete Streitkräfte vor. Es gibt eine europäische Brigade. Es gibt die Grenzschutzorganisation Frontex. Das kann der Nukleus sein, um daraus eine vergemeinschaftete Grenzverteidigung zu machen.

STANDARD: Ist das nicht die Arbeit des Verteidigungsministers, die Sie dann machen würden?

Khol: Der Bundespräsident ist Oberbefehlshaber des Heeres, falls Ihnen das entgangen ist.

STANDARD: Schon klar, aber das operative Tagesgeschäft ist traditionell Aufgabe des Verteidigungsministers.

Khol: Eine solche Initiative zu ergreifen, um eine europäische Aktivität in Gang zu bringen, ist keine operative, sondern eine konzeptive Tätigkeit.

STANDARD: Was macht ein Bundespräsident Khol sonst noch anders?

Khol: Wenn ich gewählt werde, öffne ich die Hofburg. Ich richte dort eine Internetplattform für die Bürgerbeteiligung ein, ich installiere einen Beauftragten für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Geplant ist auch die Einrichtung eines Besucherzentrums für die Hofburg. In den Bundesländern werde ich Sprechtage abhalten. Und ich gebe Mürzsteg (Sommersitz des Präsidenten, Anm.) an zwei Tagen in der Woche zur Besichtigung frei.

STANDARD: Was soll der Beauftragte genau machen?

Khol: Der soll den Bundespräsidenten beraten, wie er den Angelegenheiten von Menschen mit besonderen Bedürfnissen ein besonderes Augenmerk, Gehör und Anerkennung verschaffen kann. Das ist einer der sozialen Schwerpunkte, die ich setzen möchte.

STANDARD: Was sagt der Verfassungsrechtler Khol dazu, wenn die Regierung Obergrenzen vollzieht, bevor sie deren rechtliche Möglichkeiten geklärt hat? Und Schnellverfahren für Flüchtlinge unter Berufung auf einen angeblichen Notstand ankündigt?

Khol: Dass das viel zu spät passiert ist. Das hätte ich vor einem Jahr schon angeregt.

STANDARD: Befinden wir uns wirklich in einem Notstand?

Khol: In dem Sinne, wie das in den europäischen und völkerrechtlichen Normen geregelt ist, können wir uns auf einen Notstand berufen. Was die uninformierte Öffentlichkeit nicht berücksichtigt: Die Genfer Konvention wurde nicht für Massenflucht gemacht, auch nicht für Kriegsflüchtlinge. Sie war nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht für Menschen, die aus rassischen, religiösen, politischen oder sozialen Gründen verfolgt werden. Der Großteil der Menschen, die an unseren Grenzen stehen, ist aber in diesem Sinne nicht verfolgt. Sie haben auch schon Schutz gefunden – im ersten sicheren Drittstaat, in dem sie gewesen sind.

Bei den nächsten Wahlen 2018 wird die derzeitige Koalition wahrscheinlich keine Mehrheit mehr haben.
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STANDARD: Wenn Sie sagen, Sie hätten die jetzigen Maßnahmen schon vor einem Jahr angeregt: Hätten Sie in der Flüchtlingsfrage noch etwas anders gemacht?

Khol: Als Bundespräsident hätte ich die Warnungen der Innenministerin ernst genommen. Im Mai letzten Jahres hat sie gewarnt, dass eine Flüchtlingswelle bevorsteht. Ich hätte schon damals die Vertreter der Länder, der Gemeinden, der NGOs und des Bundes zu einer Konferenz in die Hofburg gebeten. Ich hätte das Problem von allen Seiten beleuchten lassen und dann gesagt: In vier Wochen liegt eine kohärente Strategie vor, die alle vertreten können. Also ein nationaler Schulterschluss.

STANDARD: War Heinz Fischer also aus Ihrer Sicht zu inaktiv?

Khol: Diese Folgerung können Sie ziehen. Ich kritisiere weder Vorgänger noch Nachfolger noch Mitbewerber.

STANDARD: Stellen Sie sich darauf eine, bald eine neue Bundesregierung anzugeloben? Sie haben zuletzt gesagt, die Koalition liege in den letzten Zügen.

Khol: Ich sage schon länger: Bei den nächsten Wahlen 2018 wird die derzeitige mittelgroße Koalition wahrscheinlich keine Mehrheit mehr haben. Darauf habe ich mich bezogen. Das ist ein objektiver Befund. Da muss man keine allzu große Fantasie haben.

STANDARD: Ihre Konkurrentin Irmgard Griss hat vorgeschlagen, dass Ministeranwärter vor der nächsten Regierungsbildung Hearings durchlaufen sollen. Eine gute Idee?

Khol: Das schlage ich seit Jahren vor. Aber in der Politik gibt es kein Copyright. Hearings haben sich auch bei den Vorschlägen für Verfassungsrichter bewährt. Als Regierungsbilder habe ich klar gesagt, dass ich Minister nicht bestellen würde, wo erwiesene Sachunkunde manifest wird.

STANDARD: Gehen Sie, wie derzeit viele in der ÖVP, davon aus, dass die Partei mit Jungstar Sebastian Kurz als Spitzenkandidat in die nächste Wahl gehen wird?

Khol: Das habe ich noch von niemandem gehört. Das sind reine Spekulationen. Ich bin ein Fan von Reinhold Mitterlehner, seit vielen Jahren, und ich glaube, dass er die Volkspartei in die nächste Wahl führen wird.

STANDARD: Mich hat überrascht, dass Sie in den USA am ehesten Bernie Sanders wählen würden.

Khol: Ich habe gesagt, ich würde niemanden wählen, aber von der Statur her entspräche mir am ehesten Bernie Sanders. Weil er kein Millionär ist, weil er die Jugend anspricht und weil er einen Habitus hat, wie ich ihn mir für einen Politiker vorstelle.

STANDARD: Bernie Sanders ist für die Abschaffung von Studiengebühren, wie sie in Österreich unter Schwarz-Blau eingeführt wurden. Sie stehen schon noch dazu?

Khol: Dazu stehe ich noch immer, wie auch Alexander Van der Bellen. Ich habe ja auch gesagt, dass mir Bernie Sanders' Politik zu weit links der Mitte ist und ich ihn daher nicht wählen würde.

STANDARD: Noch zur Vergangenheit. Ich habe einen Artikel von Ihnen aus dem Jahr 1985 gefunden, wo Sie sich für Atomkraft ausgesprochen haben. Ist das noch immer Ihre Meinung?

Khol: Nein, da wurde ich eines Besseren belehrt. Ich war damals für die Kernkraft, weil ich glaubte, das Sicherheitsrisiko sei beherrschbar. Das glaube ich heute nicht mehr.

STANDARD: Sie wollten 1995 ein "Profil"-Heft beschlagnahmen lassen, in dem über den sexuellen Missbrauch durch Kardinal Groër berichtet wurde.

Khol: Das ist eine totale Legende. Michael Graff war damals Parteianwalt und wollte Groër seine Hilfe anbieten, weil wir alle davon ausgegangen sind, dass das eine Verleumdung ist. Eine presserechtliche Maßnahme einzuleiten ist im Rahmen der Rechtsordnung. Graff hat mich gefragt, ob ich das für angemessen halten würde. Da habe ich Ja gesagt. Aber als der Stephansplatz dann gesagt hat, sie wollen das nicht, war mir klar: An den Vorwürfen muss etwas dran sein.

"Der Fall Waldheim hat zu einer ehrlichen Diskussion über unsere Haltung im Krieg geführt", findet Andreas Khol
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STANDARD: War die Kirche in Ihrer Vorstellung unfehlbar?

Khol: Nein, aber bis dahin hatte es solche Fälle nicht gegeben. Die katholische Kirche hatte ja immer ein sorgfältiges Auswahlsystem.

STANDARD: Im März vor 30 Jahren ist die Waldheim-Affäre publik geworden. Wie haben Sie das damals empfunden und wie heute?

Khol: Ich habe es damals wie heute als ungerechte Intrige empfunden. Es gab dann ja auch ein Richtertribunal, das festgestellt hat, dass Waldheim sicher kein Kriegsverbrecher und kein Nazi war.

STANDARD: Es war vielleicht nicht so klug, alles zu leugnen.

Khol: Er hat nichts geleugnet, aber er hat manches nicht offen genug angesprochen. Was ich aber doch für wichtig halte: Der Fall Waldheim hat zu einer ehrlichen Diskussion über unsere Haltung im Krieg geführt. Die Frage der Opferrolle, das wurde alles kritisch hinterfragt. Dadurch haben wir heute eine wesentlich ehrlichere Einschätzung. Das war heilsam.

STANDARD: Aber für Sie war es damals kein Thema, Waldheim nicht zu wählen?

Khol: Ganz im Gegenteil. Ich habe dann sogar ein Buch darüber geschrieben: The Campaign. (Günther Oswald, 4.4.2016)