Ein Flüchtlingskind protestiert gegen Abschiebung in die Türkei.

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Sie sind auf das Schlimmste gefasst. Die griechische Polizei auf Lesbos stellt sich auf Männer ein, die ausrasten, und auf Frauen, die am Montagmorgen versuchen, sich noch in der Inselhauptstadt Mytilini ins Hafenbecken zu stürzen, um der Rückkehr in die Türkei zu entgehen. Auf die "hässlichen Bilder", ohne die es "nicht gehen" werde, wie Österreichs junger Außenminister erklärte, als sein Land vor sechs Wochen die Balkanroute schloss und damit die Flüchtlingskrise in Griechenland noch einmal verschärfte. Dabei sind Lesbos und seine Bewohner ihrer Hilfsbereitschaft den Flüchtlingen gegenüber für den Friedensnobelpreis nominiert worden. Doch das war vor dem Abkommen der EU mit der Türkei.

Am Montagmorgen um zehn Uhr Ortszeit soll der erste Rücktransport von Flüchtlingen beginnen. Zwei türkische Fähren stehen dafür zur Verfügung, und wenn die Polizei es geschafft hat, die ersten Flüchtlinge aus dem Internierungslager Moria auf Lesbos in Busse zu bugsieren und zum nahe gelegenen Hafen der Inselhauptstadt zu bringen, dann könnte die Rückfahrt zur türkischen Küste ins Städtchen Dikili tatsächlich beginnen. Zurück zum Ufer, von wo die Flüchtlinge ihre waghalsige Reise in Schlauchbooten angetreten haben – illegal und für viel Geld. Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei soll vor allem den Schleppern das Handwerk legen.

"Keine Zahlen"

Die beiden Fähren – die Nazli Jale und die Lesbos – können zusammen 250 Passagiere transportieren. Aber die Sicherheitsmaßnahmen sind drakonisch. Auf jeden abgeschobenen Flüchtling kommt ein Polizeibeamter. Bis Mittwoch sollen jeden Tag 250 Flüchtlinge in die Türkei zurückgebracht werden, so verlautete angeblich aus Kreisen der griechischen Küstenwache. Sicher ist das nicht. "Ich kann keine Zahlen bestätigen", sagt Giorgos Kyritsis, der Sprecher des Migrationskrisenstabs in Athen am Sonntag zum STANDARD. Nicht die Zahl der Abgeschobenen – "Deportierte" will sie der linke Regierungspolitiker und Journalist Kyritsis nicht nennen – und auch nicht die Zahl derer, die vielleicht einen Asylantrag gestellt haben und deshalb vorerst im Lager auf Lesbos bleiben. Das wären immerhin um die 2700 Menschen.

Es ist zugleich der springende Punkt bei diesem Versuch, den größten Flüchtlingsstrom nach Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Griff zu bekommen. Menschenrechtler, Hilfsorganisationen und das Flüchtlingshilfswerk der Uno kritisieren gleichermaßen die Abschiebung von Schutzsuchenden. "Wir werden niemanden in die Türkei zurückschicken ohne Prüfung der Zulässigkeit einer Asylbewerbung", versichert Jean-Pierre Schrembi, Sprecher der Europäischen Behörde für Unterstützung in Asylfragen (EASO). Gleichzeitig soll am Montag auch die erste Überstellung syrischer Flüchtlinge aus der Türkei in die EU folgen. Österreich ist nicht dabei. (mab, 4.4.2016)