Bild nicht mehr verfügbar.

Blieb der Utopie treu: Autor Lars Gustafsson.

Foto: dpa-Zentralbild/Martin Schutt

Stockholm – "Mir ist, als hätte die messbare Welt / zwei Hälften, von der wir nur eine kennen" schrieb Lars Gustafsson in den 1960er-Jahren in einem Gedicht.

Das Grundgefühl des Fragmentarischen, des Nicht-Ganz-Seins, der unsicheren Identitäten und der eingeschränkten Autonomie hatte sich schon durch die ersten Prosaarbeiten des 1936 in der Provinz Västmanland als Sohn eines Kaufmanns geborenen Autors gezogen, der in Uppsala und Oxford Mathematik und Philosophie studierte. Und es sollte das Thema sein, das auch sein weiteres Werk grundierte.

Ähnlich wie Max Frisch, der sagte, es gebe nur drei Möglichkeiten, das Leben auszuhalten – durch Schweigen, Philosophieren oder die Fiktion – stellte auch Gustafsson immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Fiktion.

"Wirklichkeit"

"Unter ,Wirklichkeit'", so Gustafsson, "verstehe ich nichts ,Objektives' , sondern einzig die Wirklichkeit des Lesers, das heißt dasjenige, was für den Leser wiedererkennbare Erlebnisse sind." In die wiedererkennbare politische und soziale Wirklichkeit Schwedens und Westeuropas in den ausgehenden 1960er-Jahre führte Gustafson unter anderem in seinem fünf Romane umfassenden Zyklus Die Risse in der Mauer. Die zentrale Utopie, die er dabei definiert, ist die Freiheit. Und früh schon nahm dieser Autor Themen vorweg, die uns heute beschäftigen, etwa geschwächte parlamentarische Funktionen in einem monopolisierten Kapitalismus.

Neuerfindung in den USA

In seinem Roman Trauermusik (1983) schilderte er dann Schweden als Land der Besitzstandwahrung und als eine auf dem Boden von Schrebergärten errichtete Festung. Er verließ daraufhin das Land Richtung USA, wo er eine Professur annahm und zum jüdischen Glauben übertrat. An seinem aus Lyrik, Prosa und Essays bestehenden umfangreichen Werk schrieb Gustafsson unermüdlich weiter, und seine Leserschaft blieb ihm bis zu seinen letzten Romanen wie Der Mann auf dem blauen Fahrrad (2013) treu.

Im Roman Nachmittag eines Fliesenlegers (1991) lässt der Autor einen Mann über sein Schicksal sinnieren: "Beinahe mein ganzes Leben bin ich eher unglücklich gewesen als glücklich, und trotzdem habe ich kein Talent dazu. Früher oder später komme ich immer auf einen Ausweg, auf eine Möglichkeit, mich wegzustehlen und doch noch ein wenig Glück (...)." Der vor einigen Jahren nach Schweden zurückgekehrte Lars Gustafsson starb 79-jährig in der Nacht auf Sonntag nach kurzer Krankheit. (Stefan Gmünder, 3.4.2016)