Um Sexismus öffentlich zu machen, braucht es Selbstbewusstsein. Wer nicht über diese Selbstsicherheit verfügt, die oftmals auch Produkt gesellschaftlicher Privilegien ist, wird weniger wehrhaft gegen Übergriffe auftreten.

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Twitter-Hashtags wohnt bereits das Ablaufdatum inne: Ein Hashtag wird gestartet, findet Verwendung und Verbreitung, nutzt sich ab und verliert wieder an Relevanz. Verhält es sich so auch mit Sexismusdebatten?

Die Diskussion um #imzugpassiert ist weder neu, noch hat sie besonders viel mit Zügen zu tun. Der gesellschaftliche Konflikt um Sexismus kommt seit Jahren unter anderem über Social-Media-Kanäle immer wieder an die Oberfläche: Sexismen in unserer Gesellschaft bedingen offenbar ein zyklisches Auftreten dieser Auseinandersetzung.

Debatte über Alltagssexismus

Kurz die Entstehung des Hashtags: Nach einem Schlagabtausch über die Sinnhaftigkeit von Frauenabteilen in Zügen veröffentlichte die grüne Nationalratsabgeordnete Sigrid Maurer einen Artikel ("Manche haben es immer noch nicht kapiert"). Daraufhin schilderten Frauen subjektive Darstellungen von Übergriffen in Zügen unter dem Hashtag #imzugpassiert und schafften damit Sichtbarkeit für Alltagssexismus. Folgern lässt sich daraus nicht die Notwendigkeit eines Frauenabteils per se, aber die Notwendigkeit einer größeren Debatte, in der konkrete und pragmatische Maßnahmen wie Frauenabteile als Schutzräume definitiv als Option miterörtert werden müssen.

Vorteile von Schutzräumen sind nicht von der Hand zu weisen: Neben der Möglichkeit, unangenehmen Situationen präventiv zu begegnen, wird übergriffiges Verhalten auch schneller evident. Das Perfide an alltäglichen sexistischen und sexuellen Übergriffen ist ja, dass die Mehrdeutigkeit häufig Teil der Strategie ist: Die Hand könnte auch zufällig im Schlaf auf dem Oberschenkel der Sitznachbarin gelandet sein, der Blick ins Dekolleté auch dem berühmten Narrenkastl gelten. Juristisch relevant ist beides nicht. Und überhaupt – vielleicht kennen einander die beiden Personen ja? Wenn aber ein Mann etwa in einem Fitnessstudio die Damendusche betritt und sie bei der ersten Aufforderung nicht verlässt, besteht der Übergriff eindeutig ab diesem Moment, und es kann entsprechend gehandelt werden.

Selbstbestimmung fördern

Natürlich sollen Frauen ins Frauenabteil dürfen, nicht müssen. Schutzräume für Frauen sollten selbstverständlich emanzipatorisch wirken, sprich: Sie sollten Selbstbestimmung fördern und nicht einschränken. Wer direkten oder indirekten Zwang auf Frauen ausübt, sich in bestimmten Räumen aufzuhalten, schränkt deren Autonomie ein und handelt reaktionär.

Solche erzwungene Geschlechtertrennung steht aber, bei allen wirkenden Diskriminierungen gegen Frauen, in unserer Gesellschaft nicht zur Diskussion – dank Feminismus. Zu behaupten, es gebe in Europa eine Tendenz zurück zur Geschlechtertrennung, negiert die Errungenschaften von jahrhundertelangen Frauenkämpfen – und öffnet auch auch Tore für Untergangsfantasien "unserer Kultur", wie sie derzeit von Rechtsextremen gesponnen werden.

Dabei muss gesagt sein, dass auch Schutzräume nicht davor gefeit sind, gesellschaftliche Probleme zu reproduzieren – im Fall des Frauenabteils etwa ein binäres Geschlechterbild, das von trans- und intersexuellen Menschen fordert, sich zwischen zwei Optionen zu entscheiden, und obendrein dann diese Entscheidung oft noch infrage stellt.

Belästigung schränkt Freiheit ein

Dürfen Männer denn dann gar keine Frauen mehr ansprechen? Keinesfalls! Belästigungen beginnen da, wo das subjektive Gefühl von Freiheit eingeschränkt ist. Für viele Frauen wird auch die Summe kleiner unerwünschter Auseinandersetzungen zu einer einschränkenden Belästigung. Das gilt es mitzubedenken, und weiters: Natürlich ist es wünschenswert, dass Frauen und die Zivilgesellschaft aktiv Grenzen setzen und nicht mit Schweigen reagieren. Doch dieses Schweigenbrechen beinhaltet meist einen Bruch mit sozialen Normen: etwa laut werden, unfreundlich werden. Oft bekommt das direkte Umfeld zunächst nur diesen Konventionsbruch mit und reagiert blitzschnell und vielleicht unbewusst mit Irritation. Es denkt sich: "Warum wird die plötzlich laut und ausfällig?", und entsolidarisiert sich vorsichtshalber mit der betroffenen Person ("Die spinnt wohl ein bisserl. Lieber nicht involviert werden"). Erst dann wird vielleicht eruiert, was der Sachverhalt hinter dieser Störung gewesen sein mag. Wer selbstbewusst ist, kann den Normbruch leicht wegstecken; wer jedoch nicht über diese Selbstsicherheit verfügt, die oftmals ja auch Produkt gesellschaftlicher Privilegien ist, wird weniger wehrhaft gegen Übergriffe auftreten.

Und unter anderem genau deswegen propagieren Feministinnen und Feministen auch überall auf der Welt das Zustimmungskonzept: Anstatt das Gegenüber in eine wehrhafte Handlung zu drängen, sollte man lieber aktiv eine deutliche Zustimmung für die eigenen Anbahnungsversuche einholen und ein Nein als solches akzeptieren.

Spott und Unglauben

In ihrem Kommentar erläuterte bereits STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid, dass eine beträchtliche Menge Reaktionen auf die Berichte von Übergriffen auf Frauen Spott und Unglauben enthielten. Zusätzlich lässt sich beobachten, dass offenbar genau so auch Medien begegnet wird, welche die Berichte über Belästigungen aufgriffen: Erneut ist der "Lügenpresse"-Vorwurf nicht weit, sogar über einen fingierten Mediencoup wird spekuliert.

Oft werden übrigens von der gleichen Personengruppe frei erfundene Facebook-Berichte über Überfälle auf Supermärkte durch Flüchtlinge bedenkenlos verbreitet. Macht #imzugpassiert nicht das Gleiche? Der entscheidende Unterschied ist meiner Meinung nach, dass Facebook-Berichte über Supermarktüberfälle eine schuldzuweisende, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und deren einfache Lösung anbieten: Flüchtlinge raus. Diesen Vorwurf kann man den Erlebnisschilderungen von Frauen unter #imzugpassiert nicht machen; sie belegen zwar ihre Berichte nicht, doch sie präsentieren auch keine Sündenböcke und Problemlösungen; was sollten diese auch sein? Männer "abschieben"? Strukturelle Probleme wie Alltagssexismus sind hochkomplex, die Gesellschaft kann ihnen nur mit ihrem eigenen Wandel begegnen. (Anna Lena Bankel, 4.4.2016)