Bathymetrische Darstellung der Region des Lomonossow-Rückens, in der die Sedimentkerne gewonnen wurden.

Grafik: Rüdiger Stein

Forscher um Rüdiger Stein (Mitte) begutachten den am Lomonossow-Rücken geborgenen Sedimentkern.

Foto: AWI/ Audun Tholfsen, UoB

Das Forschungsschiff Polarstern im zentralen Arktischen Ozean.

Foto: AWI/Rüdiger Stein

Bremerhaven – Einem internationalen Forscherteam unter Leitung des (AWI) in Bremerhaven ist es gelungen, ein neues Fenster in die Klimageschichte des Arktischen Ozeans aufzustoßen: Mithilfe von Bodenproben vom Lomonossow-Rücken konnten die Wissenschafter zeigen, dass die zentrale Arktis vor sechs bis zehn Millionen Jahren im Sommer vollkommen eisfrei war. Das Meer hatte demnach an der Oberfläche eine Temperatur von vier bis neun Grad Celsius, wie die Forscher in "Nature Communications" berichten. Im Frühjahr, Herbst und Winter hingegen trieben Eisschollen auf dem Ozean.

Die Sedimentproben wurden während einer Expedition im Sommer 2014 entnommen. "Das arktische Meereis ist eine sehr kritische und sensitive Komponente im globalen Klimasystem", sagt AWI-Geologe und Erstautor Rüdiger Stein. Daher seies wichtig, die Ursachen heutiger wie historischer Änderungen des Meereises besser zu verstehen. "Wir hatten uns daher für diese Expedition zum Ziel gesetzt, lange Sedimentkerne aus der zentralen Arktis zu gewinnen, mit deren Hilfe wir die Meereisbedeckung des Ozeans in den zurückliegenden 50 Millionen Jahren rekonstruieren können."

Klimaarchiv aus der Tiefe

Eine günstige Stelle dafür fanden die Forscher am Westhang des Lomonossow-Rückens, einem großen Unterseegebirge in der zentralen Arktis. "An diesem Hang muss es in der Vergangenheit immer wieder gigantische Erdrutsche gegeben haben, wodurch die darunterliegenden sehr alten Sediment- und Gesteinsformationen auf einer Mächtigkeit von über 500 Metern freigelegt wurden", so Stein.

Die gewonnenen Sedimentkerne waren zwar nur vier bis acht Meter lang, einer davon entpuppte sich aber genau als eines jener Klimaarchive, auf das die Forscher gehofft hatten: "Wir konnten mit Hilfe bestimmter Mikrofossilien, sogenannter Dinoflagellaten, eindeutig feststellen, dass der untere Teil dieses Kerns aus circa sechs bis zehn Millionen Jahre alten Sedimenten besteht und damit erdgeschichtlich in das späte Miozän zurückreicht", sagt Stein. Mithilfe sogenannter Biomarker konnten so die Klimabedingungen im zentralen Arktischen Ozean für diesen Zeitabschnitt rekonstruiert werden.

Bisher vermuteten einige Forscher, dass der zentrale Arktische Ozean bereits vor sechs bis zehn Millionen Jahren ganzjährig durch eine Meereisschicht bedeckt war – in etwa jenem Ausmaß, wie wir sie heute kennen. Dieser Annahme widersprechen die neuen Forschungsergebnisse. "Unsere Daten weisen eindeutig darauf hin, dass der Nordpol und der gesamte zentrale Arktische Ozean im Sommer sogar eisfrei gewesen sein müssen", so Stein.

Verbesserte Klimamodelle

Der Arktische Ozean war allerdings nicht ganzjährig eisfrei. Stein: "Durch die Kombination unserer Datensätze zur Oberflächenwassertemperatur und zur Meereisverbreitung können wir das jetzt erstmals belegen. Im Frühjahr und dem vorangegangenen Winter war der Ozean aber von Meereis bedeckt. Rund um den Nordpol muss es damals also eine ähnliche saisonale Eisbedeckung gegeben haben, wie wir sie heute in den Arktischen Randmeeren vorfinden."

Diese aus Sedimentdaten rekonstruierten Erkenntnisse über die Klimageschichte des Arktischen Ozeans lassen sich auch durch Klimasimulationen untermauern. Dies gilt jedoch nur bei Annahme eines relativ hohen atmosphärischen Kohlenstoffdioxid-Gehalts. Wird in die Klimamodelle ein deutlich niedrigerer Kohlenstoffdioxid-Gehalt eingesetzt, wie er in einigen Studien für das späte Miozän postuliert wird, lässt sich eine eisfreie Arktis nicht simulieren. Ob der Kohlenstoffdioxid-Gehalt damit im Miozän wirklich relativ hoch war, oder ob die miozänen Klimasimulationen eine zu geringe Sensitivität in der Arktis aufweisen, sei derzeit ein zentraler Gegenstand der Forschung, sagt Stein: "Wenn unsere Klimamodelle die Meereisbedeckung früherer Zeiträume zuverlässiger reproduzieren können, werden wir auch in der Lage sein, genauere Prognosen über künftige Klima- und Meereisschwankungen in der zentralen Arktis zu geben." (red, 10.4.2016)