Die Mutter des Ermordeten klagt an.

"Das Einzige, woran ich Giulio noch erkennen konnte, war seine Nasenspitze", berichtete Paola Regeni im italienischen Senat. Die pensionierte Lehrerin sprach mit fester Stimme, trotz des unsäglichen Leids, das ihr widerfahren ist: Ihr 28-jähriger Sohn war am 25. Jänner in Kairo verschwunden und acht Tage später tot aufgefunden worden. Sein Körper war übersät mit Folterspuren.

Der junge Politikwissenschafter hatte in Kairo an einer Doktorarbeit über ägyptische Gewerkschaften gearbeitet und schrieb unter einem Pseudonym für die linke italienische Zeitung "Il Manifesto".

War Regeni dem autoritären Regime von Präsident Abdelfattah al-Sisi zu nahe getreten? Seit zwei Monaten wartet Paola Regeni auf eine Antwort auf die Frage, warum ihr Sohn sterben musste.

Viele Erklärungsversuche

Auch die italienische Regierung hatte nach dem Auffinden der Leiche in unüblich eisigem Ton eine "lückenlose Aufklärung" gefordert. Doch aus Kairo kamen bisher nur mehr oder weniger skurrile Behauptungen: Zuerst sei er bei einem Autounfall ums Leben gekommen; dann hieß es, Terroristen hätten ihn getötet; später war von einem Sexualdelikt die Rede. Schließlich wurde verlautet, Regeni sei Opfer gewöhnlicher Krimineller geworden.

Doch die Folterspuren passen zu keiner dieser Theorien. Nach Meinung von ägyptischen Menschenrechtsanwälten passen sie hingegen bestens zu den berüchtigten Methoden der ägyptischen Staatssicherheitsbehörden.

Kann Italien Konsequenzen ziehen?

"Die Serie unglaubwürdiger Erklärungen multipliziert das Leid der Angehörigen und beleidigt ganz Italien", sagt Außenminister Paolo Gentiloni im "Corriere della Sera". Gebe es weiterhin keine ernsthafte Zusammenarbeit, dann werde Rom "nicht zögern, die Konsequenzen zu ziehen".

Das bringt Premier Matteo Renzi in Bedrängnis. Es stehen wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel: Italien ist der zweitwichtigste EU-Handelspartner für Ägypten. Und Präsident Sisi ist ein unverzichtbarer Verbündeter Europas und der USA im Kampf gegen den "Islamischen Staat".

Zwar hat Renzi versichert, nicht Ruhe zu geben, bis die ganze Wahrheit auf dem Tisch liege. Doch allen Beteuerungen zum Trotz hat die Regierung bisher nicht den Eindruck erweckt, Kairo vor den Kopf stoßen zu wollen. Aber wie wichtig dürfen Staatsräson und Realpolitik sein? "Jedenfalls nicht wichtiger als das Recht einer leidgeprüften Mutter auf die Wahrheit", kommentiert der "Corriere della Sera". (Dominik Straub aus Rom, 5.4.2016)