
Bevor die Bekannten nerven, tun dies die Gelsen: Andrea (Caroline Peters) und Boris (Joachim Meyerhoff) auf romantischer Ausfahrt.
Wien – Goldene Sandalen um 480 Euro (wie das Publikum später erfahren wird) hängen samt den dazugehörigen Damenbeinen über die Türkante eines gelben Audi-Cabriolets. In der Ferne pulsiert sanft ein Leuchtturmlicht auf einer Videoleinwand, die bei der Premiere von Yasmina Rezas Stück Bella Figura die Akademietheaterhinterbühne ganz ausfüllt.
Aus den Tiefen des Cabrios steigt Rauch auf. Andrea (Caroline Peters) wird an diesem sehr kompliziert werdenden Frühlingsabend mit ihrem verheirateten Lover Boris noch die ganze Schachtel verheizen. Es brennt nämlich auch der Beziehungshut.
Denn Boris (Joachim Meyerhoff) hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Das Restaurant, in das er seine heimliche Geliebte ausführen möchte, hat ihm seine Ehegattin empfohlen; die Stimmung ist im Eimer. Denn Andrea hat Prinzipien, plakativ untermauert auf ihrem schicken Seidenblouson: "My Body, my choice" (Kostüme: Janina Audick). In Kürze wird es noch brenzliger werden; man wird in dieser entlegenen Bucht auf Bekannte treffen.
Langweilig wird es mit Rezas Figuren nie. Sie balancieren stets an den Abgründen des gutbürgerlichen Lebens, dort, wo im Umfeld gediegener Wohnungen – oder wie hier: nobler Fischrestaurants – die Benimmfassade bröckelt, wo Geheimnisse gelüftet werden, Unausgesprochenes hervorbricht, oder wo unangenehme Konfrontationen alles unsagbar peinlich werden lassen. Daraus schöpft die Pariser Schriftstellerin ihre säuerliche Komik. Wer mehr erwartet, ist bei Bella Figura an der falschen Adresse.
Das bereits bei der Uraufführung im Vorjahr an der Berliner Schaubühne gefloppte Stück verfügt über alle Zutaten einer edlen Schmonzette im Hauptabendprogramm. Die Dialoge sind fein geschliffen, das Uhrwerkpendel dieses Textes muss nur in Bewegung gesetzt werden, so scheint es. Das gelingt Giesing (er hat 2008 schon Der Gott des Gemetzels verantwortet) und seinem Schauspielerquintett zweifellos.
Dünnsuppig
Der Abend trägt das Publikum 90 Minuten lang auf dieser amüsant schwingenden Welle des Fauxpas und der sich daran anschließenden Konflikte. Das alles ist in der hyperrealistischen Klarheit des Interieurs (Bühne: Stéphane Laimé) immer schön anzusehen, allerdings auch recht dünnsuppig und wirkt in die Länge gezogen. Immer wieder stehen die Bekannten unabsichtlich voreinander: im Klo, am Restauranttisch, auf dem Parkplatz.
Der Spaß liegt allein im Detail. Im schiefen Tonfall, den etwa die Worte "Mühe machen" verursachen, mit denen Boris unbedacht das Date benennt. Oder im Versuch, das dysfunktionale Leben mit verlässlichen Substanzen zu behandeln: Es werden stets Medikamente, Alkoholika oder Tabak konsumiert.
Geburtstagskind Yvonne (Kirsten Dene) konzentriert sich – im Bewusstsein der Unfriedlichkeit des Beisammenseins – wohlweislich auf die kleinen Dinge ihres Alltags: die Handtasche. Ihre Schwiegertochter Françoise (Sylvie Rohrer) steht im Anblick des Seitensprungpärchens vor einem moralischen Dilemma, sie ist nämlich die beste Freundin der gehörnten Gattin und bringt in dieser Lage ihren Mann Eric (Roland Koch) in Rage.
Besondere Leuchtkraft entfaltet Caroline Peters als Andrea, die den Drang zur (notwendigen) Eskalation spürbar in sich trägt. (Margarete Affenzeller, 4.4.2016)