Statt der einzelnen Mitgliedsstaaten könnte künftig die EU die Asylverfahren abwickeln.

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Berlin/Brüssel – Die EU-Kommission will laut einem Medienbericht die Entscheidung über Asylverfahren möglicherweise nicht mehr den Mitgliedsstaaten überlassen. Sie erwäge, "die Verantwortung für die Bearbeitung von Asylansprüchen von der nationalen Ebene auf EU-Ebene zu verlegen", berichtet die deutsche Zeitung "Die Welt".

Die Zeitung beruft sich auf Vorschläge der Kommission zur Reform des europäischen Asylsystems, die am Mittwoch vorgelegt werden sollen. Der Plan sehe vor, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (Easo) in eine Behörde mit Entscheidungsbefugnissen umzuwandeln, die in jedem Mitgliedsstaat künftig einen Ableger haben und auch Einsprüche gegen die jeweiligen Bescheide bearbeiten solle.

"Das würde einen einzigen und zentralisierten Entscheidungsmechanismus schaffen und würde so die komplette Harmonisierung der Verfahren, aber auch der konsistenten Beurteilung von Schutzbedürfnissen auf EU-Ebene sichern", zitierte die Zeitung aus dem Kommissionspapier.

EU-Kommission: Derzeitiges System ungeeignet

Kritik übt die Kommission am bestehenden Dublin-System zur Verteilung von Flüchtlingen, das sich als ungeeignet erwiesen habe. Eine kleine Zahl von EU-Ländern müsse deshalb die Hauptlast tragen. "Das ist eine Situation, die die Möglichkeiten eines jeden betroffenen Staates strapaziert." Nach den Dublin-Vorgaben müssen Flüchtlinge in der Regel in dem Land einen Asylantrag stellen, in dem sie EU-Boden betreten. Das führt dazu, dass Länder an den Außengrenzen übermäßig belastet werden, derzeit vor allem Griechenland.

Die EU-Kommission schlägt nach Informationen der "Welt" zwei Reformvarianten vor. Laut dem ersten Szenario soll das Dublin-System durch einen "korrigierenden Fairness-Mechanismus" ergänzt werden, der ausgelöst wird, "sobald eine zuvor definierte Schwelle von Asylwerbern in einem Mitgliedsland erreicht ist".

Als zweite Möglichkeit schlägt die Kommission demnach vor, die Asylwerber nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel auf Basis "der relativen Größe, des Reichtums und der Aufnahmekapazitäten der Mitgliedsstaaten" auf die EU-Länder zu verteilen.

Regierungsspitze will Details abwarten

Grundsätzlich positiv äußert sich die Bundesregierung zu den kolportierten Plänen. "Österreich hat immer gesagt, wir brauchen ein gemeinsames Asylrecht in Europa", sagte Kanzler Werner Faymann (SPÖ). Wenn Asylwerber wie gewünscht fair auf die EU-Staaten verteilt werden sollen, brauche es einheitliche Standards bei der Durchführung der Asylverfahren, damit in jedem Land die gleichen Bedingungen herrschen: "Das ist logisch." Ähnlich argumentierte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der sich ebenfalls europaweite Verteilungsquoten, gemeinsame Standards und "die Verhinderung von Sekundärmigration" – dass Flüchtlinge nach eigenem Willen in ein Land ihrer Wahl weiterziehen – wünscht. Dass Österreich dabei nationale Rechtskompetenz abgeben müsste, stört prinzipiell beide nicht. Konkret lasse sich das aber erst bewerten, wenn der Vorschlag vorliege.

Nach wie vor fehle ein dauerhaftes Rezept zur Bewältigung der Flüchtlingskrise, sagte Faymann, auch das Abkommen mit der Türkei, die nun Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt, sei kein solches: "Es wäre verfehlt zu glauben, es handelt sich hier schon um eine nachhaltige Lösung." Zwar hätten die Rückführungen schon ein bestimmtes Signal gegeben, dass der Weg nach Österreich nun schwieriger sei. So registriere das Innenministerium an Österreichs Grenzen derzeit im Schnitt nur 94 Asylanträge pro Tag: "Aber das ist nur ein Momentbild, eine Atempause."

Ob vorübergehend oder nicht: Dass die Maßnahmen Wirkung zeigten, liest man im Kanzleramt auch aus der jüngsten UNHCR-Statistik heraus. Seien im Februar noch 57.066 Menschen in Griechenland angekommen, waren es im März nur mehr 26.623 Menschen. Stärker frequentiert wurde dafür die Route nach Italien, wo die Ankünfte von 3.828 (Februar) auf 9.694 (März) anstiegen. Insgesamt kamen dennoch deutliche weniger Flüchtlinge übers Meer nach Europa als im Vormonat.

Opposition gespalten

Die Grünen würden die Europäisierung des Asylverfahrens begrüßen. Für Parteichefin Eva Glawischnig wäre das "ein Schritt in die richtige Richtung". Sie verweist darauf, dass Asylwerber derzeit häufig in jenes Land gehen würden, wo die Anerkennungsquote am höchsten sei. Das würde mit einem EU-Asylverfahren wegfallen.

Die Neos möchten das gemeinsame Asylverfahren "rasch umsetzen". EU-Abgeordnete Angelika Mlinar und Klubobmann-Stellvertreter Nikolaus Scherak betonten in einer Aussendung die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik mit Aufteilungsquoten sowie die Bekämpfung der Fluchtursachen. Der Themenbereich der Arbeitsmigration solle davon getrennt behandelt werden.

Team-Stronach-Klubchef Robert Lugar lehnt zentralisierte Asylverfahren als Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten ab. In einer Aussendung kritisierte er, dass aus der EU "ein Verwaltungsapparat entstanden" sei, "der alle Mitgliedsstaaten ihrer Souveränität berauben will". Die EU liefere sich durch das Abkommen mit der Türkei der Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan aus.

Die Freiheitlichen lehnen die Pläne strikt ab, wie ihr Generalsekretär und Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, sagte. "Die EU-Kommission hat bereits bewiesen, dass sie des Chaos in der Migrationskrise nicht Herr wird und die Situation mit jeder Entscheidung nur noch verschlimmert. Künftig soll also Brüssel über die Bevölkerungsstruktur der europäischen Nationalstaaten entscheiden und nicht mehr der nationale Souverän und seine Bürger."

De Maizière offen für mehr Zusammenarbeit

Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière zeigte sich offen für mehr europäische Zusammenarbeit bei Asylverfahren. Die EU-Kommission habe den Auftrag, Vorschläge dazu vorzulegen, sagte er am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". "Dazu gehört auch die Frage einer einheitlichen Entscheidungspraxis."

Derzeit würden in manchen Ländern zehn Prozent der Asylwerber anerkannt, in anderen 90 Prozent. "Da darf man sich nicht wundern, dass die Asylwerber in das Land gehen, wo die Anerkennungswahrscheinlichkeit höher ist." (APA, jo, red, 5.4.2016)