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Die alten Anlagen seien gebaut, da lasse sich wenig machen, sagt die deutsche Expertin Oda Becker über den Schutz von AKWs vor Terroranschlägen.

Foto: dapd/Lennart Preiss

30 Jahre nach der Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl und fünf Jahre nach der Zerstörung der Reaktoren in Fukushima bleibt bei der nuklearen Energie die Sicherheit Kernthema. Praktisch alle Länder, die Atomenergie nutzen, müssen sich mit dem Problem des Sicherheitsniveaus alt werdender Reaktoren auseinandersetzen. Und künftig viel Geld in die Hand nehmen: Nach Schätzungen der EU-Kommission muss die europäische Atomenergieindustrie bis 2050 bis zu 760 Milliarden Euro in die Anlagen investieren.

Mit den Auswirkungen der Tschernobyl-Katastrophe auf die europäischen Staaten im Speziellen und der atomaren Sicherheitslage in Europa im Allgemeinen beschäftigten sich am Dienstag auch die Teilnehmer der Nuclear Energy Conference in Prag. Erwartungsgemäß sagen die Umweltexperten der europäischen Kernenergie keine strahlende Zukunft voraus.

"Industrielle Katastrophe"

Der britische Radiobiologe Ian Fairlie präsentierte eine Studie, die besagt, dass die Anzahl der durch die Verseuchung von Tschernobyl verursachten tödlichen Tumorerkrankungen bei rund 40.000 liegt. Auch die Anzahl der durch genetische Störungen verursachten Erkrankungen bei Menschen, die nach der Havarie geboren wurden, sei "wesentlich" gestiegen. "Die Auswirkungen der Tschernobyl-Havarie auf die Gesundheit der Bevölkerung zeigen auch nach 30 Jahren, dass es sich um eine der ernsthaftesten industriellen Katastrophen in der Geschichte handelte."

Keine Schutzmöglichkeiten für AKWs

Nach der Havarie des Atomkraftwerks in Fukushima im Jahr 2011 initiierte die EU Stresstests, um die Sicherheit der europäischen Atomkraftwerke auszuwerten. Die Tests und die daraus entwickelten nationalen Aktionspläne sieht Oda Becker, deutsche Expertin für Atomsicherheit, aber im STANDARD-Gespräch kritisch: "Die Tests waren nicht so entworfen, dass sie das Risiko vollständig beurteilen können." Die getroffenen Maßnahmen würden daher "in vielen Fällen – etwa in Dukovany – nicht den bewerteten Risiken entsprechen. Zusätzlich sind die nationalen Aktionspläne unzureichend."

Ob die latente Terrorgefahr auch das atomare Sicherheitsbewusstsein schärfe? Becker: "Innerhalb der Bevölkerung und in Teilen der Politik, ja. Bei den Betreibern nicht, da diese wissen, dass sie bei bestehenden Anlagen keinen ausreichenden Schutz implementieren können." Die alten Anlagen seien gebaut, da lasse sich wenig machen: "Da können sie leider mit einer panzerbrechenden Waffe mit bestimmten Gefechtsköpfen eine Kernschmelze verursachen. Alte AKWs sind attraktive Terrorziele."

Herunterfahren teuer

Oberösterreichs Umweltlandesrat Rudi Anschober (Grüne) sieht durch eine "völlige Unwirtschaftlichkeit" des Neubaus von Atomkraftwerken in der EU die Chancen für einen Ausstieg massiv steigen, warnt aber zugleich vor drohenden Risikoerhöhungen durch Laufzeitverlängerungen für alte Reaktoren: "Dass nun Reaktorblock 1 in Dukovany nach 30 Betriebsjahren eine unbefristete Laufzeitverlängerung ohne Durchführung einer grenzüberschreitenden UVP erhalten hat, ist völlig untragbar."

Generell sieht Anschober die Atomenergie in der Kostenfalle: "Das Herunterfahren alter Anlagen ist enorm kostspielig, die Verlängerung deutlich günstiger. Die EU-Kommission schätzt den Investitionsbedarf für die Dekommissionierung und für das Atommüllmanagement bis 2050 auf 253 Milliarden Euro." Die von den EU-Staaten dafür vorgesehenen Fonds würden aber bisher nur 133 Milliarden umfassen. (Markus Rohrhofer aus Prag, 5.4.2016)