Krems – Lange Zeit hat sich die Malerei damit begnügt, Räume bloß zu simulieren. Wenn die Weiten, die sie andeutete, auch noch so groß waren, blieb sie doch brav in ihrem Rahmen respektive in der Zweidimensionalität. Diese Gefügigkeit war im 20. Jahrhundert vielen Künstlern ein Dorn im Auge, sie vertrug sich nicht mit der neu gewonnenen Autonomie der modernen Kunst. Die Räume im Inneren der Bilder wollten sich nicht länger unterordnen, sie wollten nach außen gestülpt sein.
Wenn die neue Malerei den Geruch der Flachwaren-Tradition ablegen wolle, dann sei es wohl vorteilhaft, wenn sie weiter in den Raum hineinrage, als sie hoch sei: Diese Daumenregel erwog einmal der Minimalist Donald Judd. Die Idee der Raumeinnahme verfolgte man zuvor aber auch schon mit Objektbildern. Oder mit "Shaped Canvasses", mit denen man besonders in den 1950er-Jahren zu experimentieren begann: Es handelte sich um ungewöhnlich geformte Leinwände, die manchmal wie bloße Farbtupfer wirkten und dazu angetan waren, die sie umgebende Wand samt und sonders zum Bildhintergrund zu erklären, den Raum also ins Bild miteinzubeziehen.
Welches Echo derlei Entwicklungen in Österreich fanden, zeigt aktuell die Ausstellung Abstrakt – Spatial in der Kunsthalle Krems. Versammelt sind zwölf geradezu klassische Positionen, die den Raum vielleicht nicht mit kämpferischem Gestus erobern, ihn aber zumindest "mitdenken", mitgestalten oder mit ihm "verwachsen" wollen. Flächige Wandbemalungen von Ernst Caramelle sind zu sehen, aber auch eine Installation Heimo Zobernigs oder Objekte von Gerwald Rockenschaub, die wie verräumlichte geometrisch-abstrakte Bilder wirken. Wie ein Vorwort zur Schau mutet eine Arbeit von Heinrich Dunst an, die eine Art von geöffnetem Bilderrahmen andeutet.
Geradlinigkeit und Rationalität prägen die Atmosphäre. Und dennoch – oder gerade deshalb? – ist Abstrakt – Spatial, kuratiert von Verena Gamper, eine ausgesprochen süffige Schau geworden, von deren gar trockenem Titel man sich nicht täuschen lassen sollte.
Unerhörte Oberflächen
Man ist ja doch immer wieder überrascht vom Zauber des Minimalismus, wie er etwa Herbert Hintereggers all over – space (2016) prägt: Anknüpfend an ein früheres Projekt in der Wiener Galerie Kargl hat der Künstler eine überwältigende Menge von rund 19.000 Einwegkugelschreibern am Boden, an der Decke und an den Wänden in einem Eck der Kunsthalle aufgeklebt, auf engstem Raum. Wie kleine Kritzelstriche wirken die Plastikhülsen mit ihren blauen Kappen, verteilt zu einer absoluten, berauschenden Ungeordnetheit.
Die Minen der Kugelschreiber hat Hinteregger dabei entfernt, um in einem langwierigen, entschleunigenden Prozess die Tinte daraus zu extrahieren. Mit selbiger überzog er ein der Installation gegenübergestelltes Bild, das nun – an Jan Fabre erinnernd – mit einer unerhörten Oberflächenkonsistenz betört: Das rötlich schimmernde Blau kugelschreibergemalter Flächen ist eben selten in dieser Monumentalität und Räumlichkeit zu sehen.
Ein Bild zum Betreten ist demgegenüber Esther Stockers Installation Weil die Zukunft der Imagination keinen Widerstand leisten kann (2016). Kohlschwarze Fragmente von Quaderkanten scheinen, unregelmäßig angeordnet, im reinweißen Raum zu schweben: Ein Mondrian minus Farbe trifft Cyberspace trifft Dateifehler. Dazwischen schlendern und staksen die Besucher auf der Suche nach neuen Blickpunkten: vielleicht um einen zu finden, von dem aus sich all die geometrischen Fragmente zu einem zusammenhängenden, großen Ganzen fügen. Die schöne Ironie dabei: Betrachtet man Stockers Malerei im Raum, ist man immer bereits Teil von ihr, ist in ihr Inneres eingetaucht. Sie aus der Distanz, wie in einem Bilderrahmen, zu betrachten gelingt nicht. (Roman Gerold, 5.4.2016)