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16 tote Soldaten meldet die aserbaidschanische Seite, 20 die armenische – so die Bilanz der Eskalation der letzten Tage. Weitere 24 armenische Soldaten sollen vermisst werden.

Foto: Reuters/Stringer

Im Missak-Manutschian-Park im Zentrum von Eriwan stapeln sich den zweiten Tag in Folge Pakete und Plastiksackerln. Von überall schleppen die Bürger Kleider, Lebensmittel und Arzneien an. "Wir sind guten Muts", sagt Tsowinar Kostanjan, "wir haben keine Angst vor den Aserbaidschanern. Wir gewinnen."

Armeniens Bevölkerung rüstet sich zum Krieg, die Jungen wie Kostanjan ebenso wie die Veteranen des Karabachkriegs von 1994, die sich nun wieder beim Militär melden. "Wir haben die Kämpfe erwartet", sagt die 24-jährige Politikstudentin, die an ihrer Dissertation schreibt. Die passive Haltung der Europäer und der internationalen Gemeinschaft gegenüber den ständigen Gefechten an der Grenze hätten die Aserbaidschaner nur ermuntert. "Sie haben geglaubt, sie könnten nun alles tun", sagt Tsowinar Kostanyan über den verfeindeten Nachbarn im Norden, die Öl- und Gasrepublik Aserbaidschan am Kaspischen Meer.

Mindestens 64 Tote sind es nach vier Tagen Krieg im Südkaukasus. Dienstagmittag Ortszeit geben die aserbaidschanische Regierung und die Separatisten der armenischen Enklave Bergkarabach eine Waffenruhe bekannt. Die Einigung soll die Gespräche der Vermittler bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien unterstützen, so wird der Sprecher der Karabach-Armee zitiert. Alle Gebiete seien zurückerobert worden, die Situation wieder wie am 1. April, also vor dem Ausbruch der Gefechte, gibt Senor Hasratjan an.

Fragiles Gleichgewicht

Die nur langsam anlaufenden diplomatischen Aktivitäten bei der OSZE in Wien am vergangenen Wochenende mögen eben darin ihren Grund haben, mutmaßen Beobachter: Die Armenier sollten die Zeit haben, um das Terrain wiederzugewinnen, das sie verloren hatten. Das fragile Gleichgewicht in der Region um Bergkarabach sollte mit Blick auf mögliche neue Verhandlungen wiederhergestellt sein.

Ob die Stellungnahme der Diplomaten in Wien am Dienstagnachmittag die Gemüter in Armenien und Aserbaidschan wieder beruhigt, ist nicht sicher. Die Vermittler der sogenannten Minsk-Gruppe der OSZE, die seit 20 Jahren eine Lösung im Konflikt um Karabach sucht, "verurteilen aufs Schärfste den Ausbruch bisher nicht dagewesener Gewalt", so heißt es in der Erklärung.

Das Verteidigungsministerium in Baku vermeldete zu Wochenbeginn triumphierend den Tod von gleich 100 armenischen Soldaten. Das armenische Fernsehen berichtet dafür über drei armenische Dorfbewohner, deren Leichen verstümmelt worden seien.

Die politische Opposition in Eriwan erklärt einen Burgfrieden mit der Regierung für die Zeit der Auseinandersetzung mit Aserbaidschan. In Baku herrscht der Clan um Staatschef Ilham Alijew ohnehin weitgehend uneingeschränkt.

Faustpfand für Bergkarabach

Ein Fünftel des aserbaidschanischen Territoriums halten die Armenier seit dem Karabachkrieg in den frühen 1990er-Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, besetzt. Es ist ihr Faustpfand für die Enklave Bergkarabach, die sie nicht mehr hergeben wollen. "Karabach ist unser Gebiet und unsere Geschichte", sagt Tsowinar Kostanjan. Sie ist Koorganisatorin einer der vielen zivilgesellschaftlichen Grüppchen in Eriwan, die gegen die Regierung von Staatspräsident Serge Sarkissijan opponieren. Hanun Orenki (Für das Gesetz) heißt ihre Bewegung. Im Jänner drückten die Führer von Hanun Orenki der britischen Botschafterin in Eriwan ein Glas Kaviar in die Hand. Es sollte ein Symbol sein für die Bestechung, die ein britischer Europaratsabgeordneter für seinen Bericht über Karabach eingesteckt hätte.

Sarkissijan und Alijew waren vergangene Woche Gast beim Gipfel für nukleare Sicherheit in Washington. Ein Treffen der beiden Staatschefs war erwartet worden. Es kam nicht zustande. Man nahm dies als böses Vorzeichen. (Markus Bernath, 5.4.2016)