Es ist herrlich. Dieses achtsame Ausfüllen, unter Bedachtnahme auf strengste Einhaltung von Grenzen. Diese Konzentration auf pitzelige Linienführung, diese Lust an der richtigen Farbauswahl. Wobei: Was ist couleurmäßig schon richtig? Früher war das einfach. Da gab es Rot, Schwarz, Blau, Grün (Zyklam war schon jenseits der Grenze des Exaltierten), und damit hatte es sich.

Aber heute? Da ist der Griff nach dem passenden Buntstift eine spürbar größere Herausforderung: Geht Mandarine mit Melone? Chlorophyll mit Lorbeer? Gischt mit Smaragd? Neonpink mit Neonorange?

Sage jetzt bloß keiner, das sei nicht wichtig. Der internationale Boom "Ausmalbücher für Erwachsene" erfasst auch Österreich – und da sind wir feder- und buntstiftführend dabei.

Ausmalen, beteuern Buntstifterzeuger, sei "eine wunderbare Beschäftigung zum Abschalten, man kann sich richtig austoben". Psychohygiene auf dem Papier, die uns gefällt.

Telefonieren in der U-Bahn? Passé, wir malen dort lieber. Im Gasthaus färben wir die Speisekarte, im Flieger nach Panama-Stadt haben wir jüngst unsere Steuererklärung ausgemalt (in Zyklam!). Und ehrlich, das hat uns sehr entspannt.

Doch langsam wird das zur Sucht. Warum wir uns schon auf die Wahlzelle freuen? Ersparen Sie uns das Geständnis.

Und damit nicht genug. Letztens haben wir unser Sparbuch übermalt, unser letztes. Sorry, liebe Söhne. (Renate Graber, 5.4.2016)