Viele Hobbyläufer träumen davon, einmal im Leben einen Marathon zu laufen.

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Ein Marathon ist die Königsdisziplin für Läufer. Viele wollen die 42,195 Kilometer zumindest einmal im Leben bezwingen. Die Motivation dafür ist mehr als nur die sportliche Ambition: "Der Mensch will sich transzendieren, seine Grenzen überwinden", erklärt Sportpsychologe Andreas Kollar.

Am Start denken die meisten erst einmal über profane Dinge nach: Stimmt die Ausrüstung? Passt das Wetter? Habe ich genug trainiert? Unmittelbar vor dem Startschuss steigt dann die Nervosität. Das ist normal: "Die Ungewissheit ist, ob es ein guter oder ein schlechter Tag ist. Und das weiß man eben noch nicht, wenn man an der Startlinie steht, sondern erst, wenn man losläuft ", sagt Josef Niebauer, Vorstand des Salzburger Universitätsinstituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin. Sportpsychologe Kollar rät dazu, sich nun in einen "angenehmen Vorstart-Zustand" zu bringen und weitestgehend zu entspannen.

Und dann geht es los. Die ersten Schritte über die Startlinie. Die Zeit läuft. Nun steigt der Sauerstoffbedarf in der Muskulatur, die Atemzüge werden tiefer. Angesichts der Menschenmassen, die sich gleichzeitig losbewegen, muss man zuerst das richtige Tempo finden, sagt Niebauer. Wer zu schnell losläuft, dem geht rasch die Puste aus. Wer zu langsam ist, der verliert wichtige Minuten. Und das ist frustrierend.

In den "Flow" kommen

Die ersten Hürden sind geschafft. "Nun spürt man relativ schnell, wie man drauf ist", sagt Niebauer. Die Körpertemperatur steigt stetig – um die Temperatur auszugleichen, setzt das Schwitzen ein. Die Muskulatur in den Beinen wird jetzt besser durchblutet, dafür sinkt das Blutvolumen in den Organen.

Ziel ist, in den "Flow" zu kommen: ein Tempo also, in dem sich die Beine (fast) mühelos in Richtung Ziel bewegen. Aber da das Ziel noch weit ist, kann es helfen, seine Aufmerksamkeit auf angenehme Reize zu konzentrieren, etwa das Wetter, rät Kollar. Der Körper greift zur Energiegewinnung zunächst vorrangig auf die Kohlenhydratespeicher zu.

Wie oft und wann getrunken werden soll, lasse sich nicht verallgemeinern. Das Trinkverhalten sollte im Vorfeld aber geübt werden, rät Niebauer, der zur Flüssigkeitszufuhr noch vor dem Durstgefühl rät: "Die Labestationen sind dafür da, dass sie genutzt werden." Ausschließlich Wasser zu trinken sei jetzt nicht ausreichend. Elektrolyte, die mit dem Schweiß verloren gehen, müssten ersetzt werden.

Mann mit dem Hammer

Bei Kilometer 30 sind die Kohlenhydratreserven dann weitestgehend leer. Nun lauert der berüchtigte "Mann mit dem Hammer" an der Strecke – so bezeichnen Ausdauersportler den plötzlichen Leistungseinbruch aufgrund leerer Speicher. Wurde vorher auf Kohlenhydrate und Fettdepots zugegriffen, so bleibt nun nur noch das Fett als Energiequelle. "Und das ist energetisch ungünstig, da für die Energiegewinnung aus Fett mehr Sauerstoff benötigt wird."

Niebauer erklärt das so: "Das ist, wie wenn die Bank die Zinsen erhöht. Die ersten 30 Kilometer ist man mit einem Zinssatz von fünf Prozent gelaufen, nun sind es 11,5 Prozent." Der Einsatz ist nun also größer, es wird richtig anstrengend. Besonders dann, wenn die langen Läufe im Trainingsplan zu kurz gekommen sind. Und das sei bei den meisten Hobby-Marathonläufern der Fall, sagt Niebauer.

Knackpunkt bei Kilometer 35

Spätestens jetzt macht sich mentales Training bezahlt: Zwischen Kilometer 30 bis Kilometer 35 ist eine kritische Phase erreicht, sagt Kollar. Nicht jeder, der es so weit geschafft hat, bleibt automatisch im Rennen. Nun könne es helfen, sich den Zieleinlauf ganz konkret vorzustellen. Auch strategisch an der Strecke positionierte Bekannte könnten motivieren.

Angesichts der Erschöpfung, die sich nun einstellt, berichten viele Sportler von demotivierenden "Stimmen im Kopf", die sie zum Aufgeben bewegen wollen. Diese seien nicht per se schlecht, so Kollar: "Aber man braucht eine Übersetzung, welche Infos dahinter stecken könnten." Etwa, dass die körperliche Fitness eben doch nicht reicht oder eine Verletzung droht. Ist all das nicht der Fall, dann mache es Sinn, sich beispielsweise vorzustellen, dass es nicht Stimmen im Kopf sind, sondern ein Laufkollege, der mitläuft: "So kann man innerlich ein bisschen Abstand gewinnen."

Schmerzen ernst nehmen

Bei manchen stellen sich nun Krämpfe und Schmerzen, etwa am Rücken oder den Knien, ein. Das hängt, so Niebauer, entweder damit zusammen, dass man aus gesundheitlichen Gründen gar keinen Marathon hätte laufen sollen. Oder weil man eben doch zu wenig oder falsch trainiert hat. Allerdings: "Solche Schmerzen haben nichts damit zu tun, dass ein Marathon per se ungesund ist."

"Bei Schmerzen muss einem klar sein: Jetzt könnte der Körper Schaden nehmen", warnt er. Wenn es "altbekannte Problemfelder" sind, die nun wehtun, dann könne man antesten, ob die Schmerzen bei einem langsameren Tempo wieder verschwinden. "Aber wenn dem nicht so ist, dann heißt es: Aufhören." Das sei keine Schande, betonen sämtliche Experten – und dürfe nicht als Scheitern betrachtet werden: "Man hat etwas versucht, was andere gar nicht erst angehen", so Niebauer. Darauf könne man schon stolz sein Und: Der nächste Marathon kommt bestimmt.

Leere im Körper

"Wer es bis ins Ziel schafft, hat vor allem einmal ein Riesenprojekt abgeschlossen", sagt Kollar – und laut Niebauer eine Körpertemperatur von 39 bis 40 Grad. Auch ein Kilo, so schätzt er, könnten die Läufer bis ins Ziel verloren haben. Erschöpfung und "eine gewisse Leere im Körper" gehören nach der Ziellinie dazu. Nun gelte es, die Atmung zu normalisieren, sich ruhig auszulaufen – und vor allem viel zu trinken und die verbrannten Kohlenhydrate und verbrauchten Eiweiße durch gesundes Essen zu ersetzen.

Und wenn nicht alles nach Plan gelaufen ist, lassen sich daraus zumindest wichtige Informationen für den nächsten Marathon ableiten, sagt Kollar. Denn auch wenn man sich während der letzten Kilometer wahrscheinlich geschworen hat, nie wieder einen zu laufen: Viele schmieden gleich nach der Ziellinie Pläne für den nächsten Marathon. (Franziska Zoidl, 10.4.2016)