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Demonstranten bezichtigen Keiko Fujimori, an das politische Erbe ihres Vaters anknüpfen zu wollen. Alberto Fujimori sitzt wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption in Haft.

Foto: REUTERS/Mariana Bazo

Lima/Puebla – Fünf Tage vor der Präsidentenwahl in Peru sind Dienstagabend tausende Demonstranten gegen die Favoritin Keiko Fujimori durch die Straßen der Hauptstadt Lima gezogen. Sie gaben dem Gefühl von rund 45 Prozent der Peruaner Ausdruck, die einen Sieg Fujimoris auf jeden Fall verhindern möchten.

Laut Umfragen ist die Tochter des inhaftierten Exdiktators Alberto Fujimori, Keiko, die bereits den zweiten Anlauf auf die Präsidentschaft unternimmt, diesmal die Favoritin. Der liberale Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa warnt vor einer "Katastrophe" und einem "Rückfall in die Diktatur", sollte sie tatsächlich Präsidentin werden. Das ist schon die einzige Konstante einer ansonsten skurrilen Kampagne. Von den ursprünglich 19 Kandidaten sind noch 14 im Rennen, darunter zwei mit Korruptionsvorwürfen behaftete Expräsidenten. Ein wegen des gleichen Delikts angeklagter Kandidat macht Wahlkampf aus dem Gefängnis heraus.

Ausschluss starker Kandidaten

Die lange Zeit Zweit- und Drittplatzierten, Julio Guzmán und César Acuña, wurden hingegen vor vier Wochen vom Wahlgericht ausgeschlossen. Guzmán wegen angeblicher Mängel bei der internen Kandidatenkür im Dezember, Acuña, weil er Wählern Geldgeschenke gemacht hatte. Keiko, von der es ebenfalls Fotos beim Austeilen von Geldumschlägen gibt, durfte jedoch im Rennen bleiben. Von einem "Vorabwahlbetrug", sprach der Journalist Gustavo Gorriti. "Das ist, wie wenn man bei einem Fußballspiel in der 80. Minute ein Tor aus der dritten Minute annulliert", sagt der Politologe David Sulmont von der Katholischen Universität. Auch die EU-Beobachtermission hält das für "problematisch". Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, warnte sogar vor "halbdemokratischen Wahlen".

"Keiko, Präsidentin!" rufen Sprechchöre in einer Lagerhalle in Puente Piedra vor den Toren von Lima ihrer Kandidatin zu. Keine 30 Kilometer entfernt, in einem Wüstenort namens La Cantuta, wurden 1992 auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs ein linker Universitätsprofessor und neun Studenten von Todesschwadronen entführt, gefoltert und ermordet. Die Mörder waren Sicherheitskräfte und unterstanden direkt Präsident Fujimori. Während des Bürgerkriegs von 1980 bis 2000 starben insgesamt 69.000 Menschen, viele davon bei willkürlichen Massakern der maoistischen Guerilla und der Sicherheitskräfte.

Keiko, in Jeans und weißem Poloshirt, spricht salopp von "Irrtümern und Exzessen", die sich nicht wiederholen werden. Keine Rede davon, dass die 40-Jährige ihren wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren Haft verurteilten Vater amnestieren wird – eine traditionelle Forderung ihrer rechtspopulistischen Partei Fuerza Popular. Wie glaubwürdig sind solche Beteuerungen aus dem Mund einer Kandidatin, die ihrem Vater nach dessen Scheidung als "First Lady" assistierte? Überraschenderweise stellen sich die Anwesenden diese Frage gar nicht. Für ihre Gegner unterschrieb sie am Sonntag medienwirksam vor Fernsehkameras ein Schreiben, in dem sie sich zur Wahrung der demokratischen Institutionen und der Menschenrechte verpflichtete.

Wer mit Keiko in die voraussichtlich notwendige Stichwahl einziehen wird, ist noch unklar. Umfragen zufolge könnte es sowohl die 35-jährige linke Kongressabgeordnete Verónika Mendoza als auch der neoliberale 77-jährige Exminister und Weltbankexperte Pedro Pablo Kuczynski werden, gegen den Korruptionsermittlungen laufen. Fujimoris Hochburgen liegen in den ländlichen Regionen, die unter dem Bürgerkrieg besonders zu leiden hatten, was von der Elite in Lima jahrelang ignoriert wurde. Mit Fujimori kamen die Streitkräfte, Straßen und Schulen in die abgelegenen Regionen – das rechnen ihm viele besonders aus der Unterschicht bis heute hoch an. Ein ganz anderes Bild hat die städtische Mittelschicht. Dort gilt Fujimori als Vertreter eines Verbrecherregimes, das Gegner ermorden ließ, Bodenschätze verscherbelte, die Presse kaufte und mit der Drogenmafia gemeinsame Sache machte. Sein perfidestes Instrument war die Gleichschaltung via Korruption, ein Übel, unter dem das Land bis heute leidet.

Wirtschaftlicher Aufschwung

Wirtschaftlich ging es mit dem Andenland in den vergangenen 15 Jahren dank des Rohstoffbooms, des Tourismus und einer intelligenten Diversifizierung der landwirtschaftlichen Exporte steil bergauf. Mit Wachstumsraten von durchschnittlich 5,3 Prozent im Jahr wird es regional nur noch von Panama übertrumpft. Die Armut sank laut der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika ebenfalls stark. Getragen wurde der Boom von einem liberalen, wirtschaftspolitischen Konsens.

Der wirtschaftliche Fortschritt ging einher mit politischer Regression. Die Parteienlandschaft zersplitterte. Perus Parteien wurden eine Art "Franchise-Unternehmen", die zu Wahlen an den meistbietenden verkauft werden. Die Korruption hat die Politik unterwandert. Zwei der wichtigsten Geldgeber Fujimoris beispielsweise unterhalten Offshore-Konten, wie jetzt bei der Veröffentlichung der Panama Papers bekannt wurde. "Im Vergleich zu den anderen Krisen in Lateinamerika mutet Peru sekundär an. Aber diese Wahlen warnen uns, dass die Institutionalität nicht funktioniert", so Simon Whistler von der Sicherheitsfirma Control Risks. (Sandra Weiss, 7.4.2016)