Michael Reichetzeder läuft und läuft und läuft.

Foto: Christian Fischer

Die Medaillen für Reichetzeders Wien-Marathon-Starts.

Foto: Christian Fischer

Wien – 1984. Der Name des berühmten Romans von George Orwell. Das Jahr, in dem Indira Gandhi ermordet wurde, Peter Seisenbacher in Los Angeles Gold im Judo holte und: der Wien-Marathon erstmals ausgetragen wurde.

Marathon war damals kein Massenphänomen. 794 nahmen die 42,195 km in Angriff. Einer von ihnen: der 26-jährige Wiener Michael Reichetzeder. "Man ist damals schon komisch angeschaut worden", erzählt er. Reichetzeder blieb trotzdem dabei. Der 25. März 1984 – das Datum hat er noch genau im Kopf – markiert den Beginn seiner Laufkarriere. Reichetzeder lief wieder in Wien. Und wieder. Und wieder. Keinen der bisherigen 32 Wien-Marathons hat er ausgelassen. Am Sonntag steigt der 33. Vienna City Marathon (VCM). Reichetzeder ist selbstverständlich dabei.

derstandard.at/fischer

Das Laufen liegt beim 58-Jährigen in der Familie. Auch sein Bruder Erwin absolvierte bisher alle Wien-Marathons. Sein Bruder Thomas musste beim 29. Mal passen. Irgendwann begann Michael Reichetzeder nachzuforschen, wer, außer ihm, noch alle Wien-Marathons absolviert hat. Dem "Club 32" gehören zehn Männer an, dem "Club 33" werden am Sonntag voraussichtlich neun angehören. Einer kann gesundheitsbedingt nicht starten.

Reichetzeder kennt seine Grenzen

Reichetzeder hatte bisher immer Glück, die Gesundheit spielte jedes Mal mit. Knapp an der Aufgabe sei er nie gewesen. "Ich kenne meine Grenzen", sagt er. 1990 absolvierte er die Strecke in 2:50:35 Stunden. Diese Bestmarke ist für ihn nicht mehr erreichbar. Reichetzeder kann damit leben. Er sei kein besonders fleißiger Trainierer, bezeichnet sich nicht als ehrgeizig.

"Mit 45", sagt er, "kann man sein Level nur noch mit mehr Training halten." Das wollte er nicht. Heuer peilt er eine Zeit von rund vier Stunden an. "Ich habe eher wenig trainiert", sagt er. Im Training, wie im Rennen läuft er stets nach Gefühl, ohne Pulsuhr oder sonstige technische Hilfsmittel. Der VCM sei für ihn ein "Genuss-Sightseeing-Lauf".

32 Wien-Starts haben durchaus Gewicht. Michael Reichetzeder hat alle Medaillen aufgehoben.
Foto: Christian Fischer

Der Marathon ist keine Exotenveranstaltung mehr. Treppenlauf schon eher. Das ist die zweite Leidenschaft des Wieners. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht, organisiert weltweit Treppenläufe. Reichetzeder selbst absolviert zehn bis 15 derartige Rennen im Jahr. Sein größter Erfolg: Platz fünf beim "Mount-Everest-Treppenmarathon" in Dresden. In mehr als 20 Stunden bewältigte er 39.700 Stufen und 8848 Höhenmeter. Im Flachen absolvierte er auch schon einen 24-Stunden-Lauf. Dagegen ist der Marathon quasi ein Sprint. 45 Marathons hat er insgesamt bestritten. In Berlin, München, Graz und eben in Wien.

Die Strecke beim VCM hat sich über die Jahre kaum verändert. Ob es nicht fad sei, immer das gleiche Rennen zu laufen? "Einmal im Jahr geht das schon." Und die Strecke zu kennen, habe auch Vorteile. "Man hat eine gewisse Routine." Nicht einmal die Prater-Hauptallee, auf der es Kilometer lang gerade dahin geht, nervt ihn. "Ich mag sie ganz gern." Auf der gegenüberliegenden Seite kommen einem Läufer entgegen. "Man hält nach Bekannten Ausschau."

Kein Freund von Hitze

Am Sonntag hofft er auf nicht zu warmes Wetter. "Bei Hitze tue ich mir schwer." Reichetzeder erinnert sich an das Hitzerennen 1995. Schon um 9 Uhr hatte es damals 19 Grad. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm auch der Marathon im Jahr 2003. Reichetzeders 20. Wien-Start. Zum Jubiläum wurde er vom ORF begleitet.

In zwei Schachteln hat der Dauerläufer alle 32 VCM-Medaillen aufbewahrt. Wenn's nach ihm geht, sollen noch 18 dazukommen. Dieses Ziel kann er frühestens mit 75 erreichen. Im Jahr 2033. Das Jahr, in dem eine totale Sonnenfinsternis ansteht. Und der 50. Wien-Marathon. (Birgit Riezinger, 7.4.2016)