Die Vespa: Nicht nur für Liebespaare und Schöngeister geeignet

APA, Schuh

Als der Ingenieur Corradino D'Ascanio kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vom toskanischen Industriellen Enrico Piaggio den Auftrag erhalten hatte, ein einfaches, sparsames und leicht benutzbares Motorrad zu entwerfen, war er beleidigt: D'Ascanio war Konstrukteur von Kampfflugzeugen und wollte eigentlich lieber einen Hubschrauber konstruieren. Der Bau eines Motorrollers war unter seiner Würde.

Foto: Vespa

Aber die 1884 gegründete Piaggio-Flugzeugfabrik in Pontedera bei Pisa war von den Alliierten als kriegswichtige Anlage fast vollständig zerstört worden, und außerdem hatten die Sieger ein Rüstungsverbot verhängt. Es blieb Piaggio also nichts anderes übrig, als sich zivilen Projekten zuzuwenden. Und so machte sich D'Ascanio widerwillig an die Arbeit. "Sembra una vespa" – "das sieht ja aus wie eine Wespe", kommentierte Enrico Piaggio, als er das breite Vorderteil, die enge Taille und das dicke Hinterteil des Rollers sah. Am 23. April 1946 meldete Piaggio die Erfindung beim Patentamt in Florenz an: Die Vespa war geboren.

Flugzeugbau

Äußerlich erinnerte bei der ersten Vespa 98cc mit ihren 3 PS nur noch die Vorderradaufhängung mit einseitigem Stabilisator und Federbein an ein Flugzeug: Auf diese Reminiszenz mochte D'Ascanio nicht verzichten – und sie blieb bis heute erhalten. Auch der Motor stammte aus dem Flugzeugbau: Beim Antrieb der Ur-Vespa handelte es sich um den modifizierten Anlassermotor für große Flugzeugtriebwerke.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/YonHap

Auf ihr saß Audrey Hepburn im Jahr 1953 für den Film "Roman Holiday"

Es dauerte nicht lange, bis der Roller aus Pontedera zum begehrten Kultobjekt avancierte. Bereits 1953 verdrehte Audrey Hepburn Gregory Peck in "Roman Holiday" auf einer Vespa die Augen, später setzte Fellini Anita Ekberg in "La Dolce Vita" auf den Sattel der Roller-Ikone. Junge Paare fuhren mit der Vespa ans Meer, Handwerker und Bauern schätzten den Roller, weil auf dem Fußbrett zur Not auch einmal ein Zementsack oder ein Heuballen transportiert werden konnte. Inzwischen sind weltweit über 18 Millionen Vespas in 150 verschiedenen Varianten verkauft worden.

Talfahrt

Dank der Vespa und ihren Schwestermodellen war Piaggio in den Achtzigerjahren zum größten Motorradhersteller Europas aufgestiegen. Doch danach ging es mehrere Jahre lang stetig bergab: Japanische Motorradkonzerne, allen voran Honda und Yamaha, hatten sich mit billigeren Rollern im Markt breitgemacht. In Pontedera wurden rote Zahlen geschrieben, die Firma ging zunächst in den Besitz der Fiat-Familie Agnelli über, 1999 übernahm eine Fondsgesellschaft der Deutschen Bank rund 85 Prozent des Motorradherstellers. Erst mit dem Einstieg des Mantueser Multimilliardärs Roberto Colannino im Jahr 2004 kam die Wende.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/Nguyen Huy Kham

Bereits im ersten Jahr unter der neuen Führung wurde die GTS Granturismo vorgestellt, mit ihrem wassergekühlten 300-ccm-Motor und 22 PS die stärkste Vespa, die in Pontedera je gebaut wurde. Später folgten moderne Neuauflagen der legendären Primavera und Sprint im Vintage-Stil. So wurden Piaggio und die Vespa wieder zu Gewinnern im Zweiradmarkt: Waren 2004 weltweit noch knapp 60.000 Einheiten des Kultrollers verkauft worden, waren es 2015 160.000 Stück.

Natürlich gibt es bei der japanischen Konkurrenz moderne Technik für weniger Geld zu kaufen – aber da bekommt man eben nur einen Roller und keine Vespa. (Dominik Straub aus Rom, 7.4.2016)