Brüssel – Das Nein der Niederländer beim Referendum wird keine unmittelbaren Auswirklungen auf die Umsetzung des Assoziations- und Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine haben, das seit 1. Jänner 2016 provisorisch in Kraft ist. Das werde "vorläufig" so bleiben, erklärte der Ständige Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk.

Volksabstimmungen dieser Art sind in den Niederlanden nicht rechtsverbindlich. Sie stellen eine politische Orientierung für die Regierung dar. Tusk verwies daher darauf, dass er sich als Nächstes mit Regierungschef Mark Rutte besprechen wolle, der der Koalition aus Liberalen und Sozialdemokraten in Den Haag vorsteht. Es liege zuerst an dieser Regierung, Vorschläge zu machen, betonte der Ratspräsident in Brüssel. Er wolle sich von Rutte erklären lassen, welche Konsequenzen er daraus ziehen wolle.

Demokratiepolitische Bedeutung

Das Abkommen der EU mit der Ukraine wurde von 27 EU-Staaten bereits ratifiziert, nur die Annahme im niederländischen Parlament steht noch aus. Es besteht aus mehreren Teilen. Neben einer engeren wirtschaftlichen Kooperation – etwa Zollerleichterungen oder milliardenschwere Kredite – sieht es auch wichtige politische Vorgaben an die Ukraine vor. So muss sich das Land an rechtsstaatliche Standards der EU anpassen, die Grundrechte voll akzeptieren.

Die seit fast zehn Jahren angestrebte Annäherung, die Ende 2013 die Krise mit Moskau auslöste, zur illegalen russischen Besetzung der Krim und zu EU-Sanktionen gegen Russland führte, hat also aus EU-Sicht große demokratiepolitische Bedeutung – neben allen sonstigen sicherheitspolitischen Erwägungen der Europäer, die auch die Nato betreffen.

Juncker ist traurig

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist nach den Worten seines Sprechers von Mittwoch über das Ergebnis vor allem eines: "traurig". Juncker hatte bereits vor Monaten eindringlich vor einem negativen Ausgang der Volksabstimmung gewarnt. Das vor einem Jahr vereinbarte Abkommen von Minsk mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin tritt auf der Stelle. Eine Stabilisierung des von Separatisten mit Moskaus Unterstützung besetzten Ostteils des Landes und das Ziel einer tiefen Verfassungsreform mit Neuwahlen gelingen nicht.

Die Ablehnung des Abkommens durch die Niederländer fällt ungünstig. In der Kommission fürchtet man nicht nur die direkten Wirkungen, sondern ein negatives Beispiel für das am 23. Juni in Großbritannien stattfindende Referendum über einen Austritt des Landes aus der Union ("Brexit"). Die britischen EU-Skeptiker könnten nun noch mehr Aufwind bekommen.

Kommissionsvertreter reagierten daher übervorsichtig: Man setzt auf Abwarten, will ebenfalls erst sehen, was Premier Rutte jetzt tut. Er muss berücksichtigen, dass sein Land derzeit den EU-Vorsitz hat. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite wertet das Ergebnis als Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit mit der EU. (Thomas Mayer, 7.4.2016)