"Frau Preblauer, was hat Schreiben mit Zeichnen zu tun?" heißt der Beitrag von Teresa Präauer für die Ausstellung "Bleistift, Heft & Laptop" im Literaturmuseum. Fotografiert wurde die Wiener Schriftstellerin und Künstlerin vom Fotografen Martin Stöbich.

Foto: Martin Stöbich

Es gibt ein Selbstporträt des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers, das aus vier Teilen besteht: einer Fotografie, auf der der Künstler elegant gekleidet, in dunklem Mantel und mit Krawatte, in einem Gewächshaus steht und an dem Stamm einer hohen Palme entlang nach oben schaut, und drei gerahmten Ausstellungsplakaten, von denen eines den Titel Eloge du sujet, Lob des Gegenstands, trägt und so etwas wie eine Variation von Magrittes berühmtem Pfeifen-Nichtpfeifen-Bild darstellt. Darauf zu sehen sind eine Palette mit der Aufschrift "Pfeife", ein Hut mit der Aufschrift "sujet", "Gegenstand", eine Lupe mit der Aufschrift "image", "Bild", usw.

Im Sujet steckt das Subjekt, im Bild das Imaginäre; man kann das eine nicht ohne das andere denken. Was ist dieses Selbst und warum soll man es porträtieren? Was zeigt so ein Porträt? Was kann "ich" (wenn ich noch dazu kein bildender Künstler bin) von "mir" ausstellen?

Bei Broodthaers tritt an die Stelle eines Gesichts ein Spiel von Verweisen. Die Gegenstände seiner Kunst stellen ihn dar, besser als alles, was er über sich behauptet (und was immer zu Recht im Geruch der Eitelkeit und der Werbung stehen wird). Sein eigenes Bild ist nichts als einer dieser Gegenstände, Teil einer Inszenierung. Letztlich stellt er aber keine Gegenstände aus, sondern nichts als die Inszenierung: das, was nach dem "Kunstwerk", nach dem "Selbst" kommt und wo Kunstwerk und Selbst sich auflösen. Eine Ausstellung, ein Plakat (ein auf den Markt gebrachtes Buch). Die Gegenstände auf den Plakaten haben wenig mit ihm zu tun und kommen gut ohne ihn aus; es sind nicht einmal Gegenstände, es sind nur Bilder, die sagen: Ich bin nicht das, was ich bin, es ist das Sich-Entziehen dieser Gegenstände.

All diese Dinge, die nicht sind, was sie sind, formen ein Bezugsfeld, irgendwo in diesem Bezugsfeld taucht, unter einer Verkleidung versteckt und zwischen künstlich gezogenen Pflanzen, das Subjekt als Sujet auf, Herr Broodthaers im langen Mantel, sein ironischer Blick ist nichts als Teil eines Netzes von Hinweisen.

Sprachliches Selbst

Die bildenden Künstler haben die Gegenstände, ich habe nur – nur? – die Sprache. Anstelle eines Gesichtes, eines Körpers, irgendeines nichtssagenden Gesichtes, irgendeines nichtssagenden Körpers. Wie soll ich mit Gegenständen umgehen, mit Ausstellbarem, was bin ich – was ist das Selbst, das Schriftsteller-Selbst – ohne Sprache bzw. dann, wenn die Sprache nur am Rande da ist, als Unterstützung oder als etwas, worauf das Ausgestellte hinweist? Das, was "meine Literatur" ausmacht, wie soll ich es außer- halb "meiner Literatur" darstellen können?

Nicht indem ich es nachträglich visualisiere; was in den Texten und Romanen vor sich geht, ist nicht durch Bilder oder Gegenstände einer Ausstellung darzustellen, jedenfalls nicht von mir, es wäre dumm, so zu tun, als wäre ich Installationskünstler und könnte parallel zur Sprachwelt der Bücher eine nach ähnlichen Gesetzen funktionierende gegenständliche Welt aufbauen. Ebenso wenig ist das darzustellen, was meine Bücher gemeinsam haben und woraus sich dann ein Bild ihres Autors formen könnte. Was ich darstellen kann, ist notwendig etwas anderes, etwas danach – oder davor, darum herum. Wenn ich versuche, einen Schritt zurück zu machen – vom Text zum Material beziehungsweise zu dem, was man Inspiration nennt oder früher so genannt hat -, so mag das auf den ersten Blick konventionell und selbstmusealisierend erscheinen.

Aber die Fragen und die Unmöglichkeiten, die in diesem Zugang liegen, sind vielleicht nicht uninteressant. Wenn man weiß, warum jemand schreibt, wo seine Texte herkommen, sagt das auch etwas darüber, wozu die Texte gut sind, was ihr Sinn, ihr Ort in der Welt ist.

Satz für Satz

Lässt sich zeigen, was das Schreiben provoziert und aus welchem Lebens- oder Lesematerial die Bücher hervorgehen? Es gibt zweifellos ein Verhältnis zwischen den Büchern und dem, was vor den Büchern ist. Dem, was in den Büchern verschwindet: an Biografischem, an Material. Das Biografische, übrigens, bin nicht ich, es ist auch nur Material.

Ich erinnere mich, glaube ich, sehr gut an meine ersten Schreibversuche und könnte sie jedenfalls ausführlich auf mehr oder weniger ehrliche und grundsätzliche Art erklären. Genauso ist es mit der Vorgeschichte und dem Hintergrund meiner Bücher. Aber kann ich diesen Hintergrund und diese Vorgeschichte auch darstellen? Was das Schreiben auslöst, in eine Manie, etwas anscheinend Lebenswichtiges, höchste Lust, dann aber auch nur in einen Beruf verwandelt, hängt in allen Stadien des Prozesses an Gegenständen, deren Bedeutung allerdings unklar bleibt; sie haben nicht von selbst eine Bedeutung. Die Gegenstände selbst zeigen höchstens ihre zweifelhafte und irreführende Aura, doch sie erzählen keine Geschichten, so weit man auch zurück- geht in der Autoarchäologie, man kommt bestenfalls immer wieder bei anderen Gegenständen mit unklarer Bedeutung und zweifelhafter Aura an, aber niemals bei irgendeinem Kern. (...)

Räumliche Einordnung

Ich erinnere mich an den Fünfjährigen, den Fünfzehnjährigen, den Fünfundzwanzigjährigen, der ich war, teile manches mit ihm, und doch sind sie mir so fremd wie die Zettel, die sie vollgeschrieben haben. Diese oft lächerlichen Zettel, die nichts als kleine Monumente des Scheiterns sind. Das Spiel beginnt, sobald sich ein Netz formt. Dann wird sich über all das Zeug noch immer keine gesicherte Geschichte erzählen, nicht die langweilige eigene Geschichte, es wird sich auch kein geschlossenes Bild präsentieren, sondern etwas anderes, durch ein Netz von Hinweisen hindurch: ein Raum.

Raum, das kann ein beinah erotischer Begriff sein, plötzliche zarte Spannungsbögen, Zusammenhänge über Entfernungen hinweg; die Leerräume dazwischen sind nicht mehr nur Leerräume, sondern Felder. Wenn ich schreibe, gibt es einen Moment, an dem die Sprache körperlich wird und – jedenfalls in meiner Wahrnehmung – etwas wie einen Raum formt, ich gehe Satz für Satz ein Netz von Wegen ab; Schritt für Schritt öffnen diese Wege die Welt für mich: eine Welt von Spuren und vielfältigen Verästelungen, mit Fenstern in vergangene Wirklichkeiten, plötzlichen Umschlägen vom Vertrauten ins Fremde, vom Realen in den Traum und zurück. Wie im realen Raum solche Felder, solche Räume herzustellen sind, weiß ich nicht. Aber ich habe ein paar Sätze, ein paar Bücher, ein paar Hefte, ein paar Bilder und Karten, mit denen ich die Wände und Vitrinen fülle, um zu sehen, was passiert.

Am Beginn des Schreibens, am Beginn jedes Textes liegt ein undurchdringliches Geflecht von Wurzeln, Aufgelesenes aus Texten und Büchern, Wirklichkeitsbrocken, eigene und fremde Erfahrungen und Ängste, Bilder und Ideen, oft Filmen entnommen oder einfach aus dem Dasitzen im Kino entstanden. In Wahrheit endlose Verästelungen, in andere Texte hinein und ins Wirkliche. (...)

Schritt für Schritt

In dem Raum gibt es Wege, die durch Zimmer und Wohnungen führen, durch Straßen und Stadtviertel mit ihrer geheimen und offenbaren Geschichte, durch Städte, Wüsten, Bahnhöfe, U-Bahn-Tunnel und -Gänge, Wege über Stadtpläne, fast weiße Expeditionskarten, Metropläne, die Spinnennetzen gleichen; vielleicht leeren Spinnennetzen.

Eine Handvoll Jahreszahlen markiert diese Wege und deutet ein Geflecht von Zeiten an; meine eigene Zeit und die Zeit der Bücher gehen darin ineinander über: So als hätte ich einen Platz in der Geschichte; oder als könnte ich zumindest der Angst, die am Beginn steht, einen Platz in der Geschichte zuweisen (oder mich über sie in die Geschichte einschleichen). Vielleicht geht es immer wieder um eine Frage: wie sich aus dem Scheitern etwas Neues formt. Ich schrieb immer weiter an den Texten, befestigte sie immer neu, versuchte sie immer gründlicher zu durchdenken, immer fester in sich zu verzahnen, sie immer körperlicher, immer wirklicher werden zu lassen. Bis eine Gegenwart da wäre; fast da wäre. Bis die Orte, die Zeiten, die fremden Figuren wichtiger waren als alles, was ich bloß als ich selbst sagen konnte oder wollte. Wichtig ist der Moment des Übergangs.

1826, 1937: Diese Jahreszahlen bezeichnen nicht zufälligerweise Vorgeschichten und Ränder von Katastrophen, die Vorgeschichte des völkermörderischen Hochkolonialismus, die Vorgeschichte des Anschlusses und der Shoah; sie bezeichnen die Ränder des Geschehens, an denen die Geschichte das Leben meiner Romanprotagonisten berührt.

Es geht in diesen Zeiträumen um das, was zu den Katastrophen hinführt, und um das, was ihnen entgegensteht. Das Wirkliche, das zu erreichen ist, ist nicht die Vergangenheit, die eigene oder die fremde; es ist das, was da ist: eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist, Gegenwart. Da ist diese Dichte, aber darunter – (...)

Lücken lassen

Greift man nach dem Realen, so greift man immer auch ins Nichts. Jeder vergisst den Großteil seines Lebens. Seiner Träume, seiner Kindheit, seiner Gedanken und Regungen, seiner zufälligen Begegnungen. Jeder ruht auf einer Masse des Vergessenen. Das aber dennoch nicht einfach verschwunden ist, sondern irgendwo vorhanden scheint, aufs Ausgegrabenwerden oder eher aufs Erfundenwerden, Neugeträumtwerden wartet, so wie vielleicht die Geschichte der Welt nicht zu denken ist ohne das Vergessene, im "Schacht des Gedächtnisses" Verschwundene.

Die Auslassungen und Lücken sind das Allerwichtigste an dieser Textur oder Inszenierung. Ich erzähle die Geschichten aus den Romanen nicht wieder, und ich erzähle nichts über mein Leben. Der Autor bleibt außerhalb, da sind nur seine Spuren oder die Spuren seines Scheiterns, so wie die Spuren seiner Romanfiguren, René Caillié und Alexander Gordon Laing, Emilia und Dora Degen, Andreas Bichler, Walter Steiner, Mona und Andrea Stanek, er ist so abwesend wie sie, so gespenstisch anwesend-abwesend wie sie.

Roland Barthes stellte seinem Buch Roland Barthes par Roland Barthes (das in der deutschen Übersetzung den irreführenden Titel Über mich selbst trägt) den Satz voran: "All dies muss als etwas betrachtet werden, was von einer Romanfigur gesagt wird." Franz Kafka, der ein Zimmer voller Kartenspieler durchqueren musste, soll gesagt haben: "Betrachten Sie mich bitte als nicht vorhanden." Es gibt ein Kunstwerk von Louise Bourgeois, in dem sie, wie es heißt, selbst zu betrachten ist, und zwar als hellblauer Gummitropfen, mit Garnspulen wie Spinnenarmen verbunden. (Thomas Stangl, Album, 10.4.2016)