Die Bundesregierung will für Flüchtlinge die Grenzen großteils schließen.

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Wien – Mit einem neuen Gesetz will sich die Bundesregierung dazu befugen, zentrale Bestimmungen des international verbrieften Asylrechts außer Kraft zu setzen. Der Entwurf liegt dem STANDARD vor.

Schon ab ersten Juni soll es demnach in Österreich die rechtliche Möglichkeit geben, "Sonderbestimmungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit" zu erlassen: nämlich dann, wenn "auf Basis der Prognosen zur Entwicklung der Asylantragszahlen" mit "Funktionsstörungen" im Asylwesen und in anderen öffentlichen Bereichen zu rechnen sei. Angesichts von 90.000 Asylanträgen sei es bereits 2015 zu akuter Überlastung gekommen, heißt es in den Erläuterungen.

In der Folge könnte den allermeisten nach Österreich kommenden Flüchtlingen ein Asylverfahren verwehrt werden: Sobald die "Sonderbestimmung" in Kraft ist, dürften sie das Bundesgebiet nicht betreten oder müssten es wieder verlassen. Ausgenommen wären nur Menschen, die enge Angehörige in Österreich haben oder denen außerhalb Österreichs Folter und andere unmenschliche Behandlung droht.

Die Prüfung, ob ein Asylantrag eingebracht werden darf oder nicht, soll dann in neuen "Registrierzentren" an den Grenzen stattfinden. Dorthin sollen auch sämtliche Flüchtlinge gebracht werden, die innerhalb Österreichs angetroffen werden. Damit würde das bisher durchgehend geltende Prinzip des Rechts auf Inlandsantragsstellung in Asylverfahren außer Kraft gesetzt.

"Vertrauliches" Papier

All das ist einer zwischen SPÖ und ÖVP abgestimmten "vertraulichen" Arbeitsversion der geplanten Novelle zu entnehmen. Diese hält sich im Wortlaut eng an die Expertise des Obergrenzen-Begutachters Walter Obwexer.

Das neue Gesetz soll ganz offensichtlich ohne Begutachtungsfrist (also ohne Meinungen von außerhalb einzuholen) beschlossen werden: Bis Anfang Juni ist die Zeit für ein solches Verfahren zu kurz. "Eine derart fundamentale Gesetzesänderung ohne Begutachtung umsetzen zu wollen ist ein Skandal", sagt Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen.

Auch die grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig ging mit dem Papier hart ins Gericht: "Die Regierung macht sich auf zu einem absoluten Tabubruch: Sie will das Asylrecht per Verordnungsermächtigung faktisch außer Kraft setzen. Nachdem das von der Regierung in Auftrag gegebene Rechtsgutachten die geplante Aushöhlung des Asylrechts mit einer zahlenmäßigen 'Obergrenze' eindeutig als verfassungswidrig qualifiziert hat, soll nun ein Schritt über das verfassungsrechtlich Zulässige hinaus gesetzt werden. Das ist vollkommen inakzeptabel."

Herbert Langthaler von der Asylkoordination Österreich nennt den Gesetzesentwurf ebenfalls einen "beispiellosen Dammbruch": "Wenn die Regierung einen Notstand ausruft, können Asylwerber ohne Bearbeitung ihres Antrags zurückgeschoben werden."

Es würde ein Unterschied zwischen "einen Asylantrag stellen" und einem "eingebrachten Antrag" gemacht. Als "eingebracht" gilt ein Asylantrag erst, wenn das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Anordnung erlassen hat, ob das Asylverfahren in Österreich gestellt wird oder ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird. Die sich so ergebende "Rechtsschutzlücke" solle laut Asylkoordination in der geplanten Notstandsverordnung genutzt werden, "um Schutzsuchende ohne die Einleitung eines Asylverfahrens außer Landes zu schaffen".

Donnerstag im Ausschuss

Konkret soll die Novelle laut SPÖ-Kreisen kommenden Donnerstag von der Regierung im Innenausschuss eingebracht werden. Die am Donnerstag ebenfalls auf der Tagesordnung stehende Novelle für Asyl auf Zeit und Verschärfungen bei der Familienzusammenführung soll durch das "Sonderbestimmungsgesetz" sozusagen ergänzt werden.

Ein Beschluss dieses Gesetzes allein wäre noch kein Verstoß gegen international geltende Menschenrechtsstandards und Europarecht – sehr wohl jedoch das konkrete Inkrafttreten einer Sonderbestimmungsverordnung, meint dazu Manfred Nowak, Menschenrechtsexperte der Universität Wien. Dann könnte die EU prüfen, ob der von Österreich behauptete Asylnotstand tatsächlich existiert: "Ich meine: wohl eher nicht." (Irene Brickner, Oona Kroisleitner, 8.4.2016)