Noch nie war eine Präsidentschaftswahl so offen und spannend wie diesmal. Noch nie waren die Ex-Großparteien SPÖ und ÖVP so unter Druck. Noch nie hatten Kandidaten ohne nennenswerte Ressourcen und Wahlkampfapparate solche Chancen. All das kann man über die Präsidentschaftswahl 2016 sagen. Man kann es aber auch so sehen: Noch nie wurde das Amt durch einen clownesken Wahlkampf so entwertet wie diesmal.

Parcours der Peinlichkeiten

Die Kandidaten haben einen Parcours der Peinlichkeiten zu absolvieren. Nach einer vorhergehenden, unlustigen Witzesendung zum Fremdschämen beginnt ein "Eignungstest" für die Kandidaten mit der Aufforderung, selbst einen Witz zu erzählen. Sie apportieren. Dann muss man noch eine Kürzestrede halten, um junge Gewerkschaftsfunktionäre zu überzeugen. Auch diese Station absolvieren die Zirkuspferde. Später geht es um äthiopisches Essen und die Frage, wie man dieses nun – bitte zulangen! jetzt! – einzunehmen hat. Die Kandidaten blamieren sich artig und erfüllen die Erwartungshaltung des Senders.

An anderer Stelle hat man Hymnen zu erraten oder festzuhalten, als welche Frucht man sich am ehesten sieht. Diese Frage wird, so die Rechtfertigung, normalen Jobbewerbern immer wieder gestellt. Na dann. Bei der ersten Elefantenrunde im TV müssen die hohen Tiere – hopphopp! – eine Frage auf Englisch beantworten. Und die Kandidatenschar darf den ganzen Hauptabend lang ein Täfelchen in die Kamera halten und auf durchaus komplexe Fragen simpel mit "Ja" oder "Nein" antworten. Auch hier regt sich über 90 Minuten lang kein Widerstand.

Im Kurier, der eine Geschichte über die Infantilisierungsspirale ins Blatt hob, lässt sich ein (wohl zum Selbstschutz) anonym bleibender Kandidat über den Trend aus. "Aber", so wird der Bewerber zitiert, "du kommst da nicht aus, was sollst machen?"

Was soll man machen?

Ja, was soll man machen? Nicht bei jedem Unsinn mittun, ist wohl die richtige Antwort. Klar, es gibt den Gruppendruck. Wenn im politischen Dschungelcamp alle die Maden des medialen Mainstreams hinunterwürgen, gilt der Verweigerer schnell als Spaßbremse. In einem Persönlichkeitsrennen, in dem man die Kandidaten kennenlernen will, kommt das nicht so gut. Und rausgewählt will keiner werden.

Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass Kandidaten heute nicht auch weiche Medienformate beherrschen müssen. Auch einmal seine lockere Seite durchblitzen zu lassen und nicht permanent todernst rüberzukommen, hat schon einen Sinn. Aber wo ist die Grenze? Hüpfen die potenziellen Staatsoberhäupter auch aus dem Dachfoyer der Hofburg, wenn die anderen so ihren politischen Mut unter Beweis stellen? Ist das dann die Leadership, nach der das Wahlvolk dürstet?

Taferl oder Flade

Nein, es darf begründet verweigert werden. Vielleicht punktet man gerade damit. Irgendwann hätte einer das Taferl oder die äthiopische Flade weglegen und das, was gerade vor sich geht, thematisieren müssen. Was hätten dann die Moderatoren (und die anderen Kandidaten) gemacht? Den durchwegs ausgezeichneten Journalisten, die Debatten heute aufgrund des Quotenimperativs offenbar so gestalten müssen, wäre mit dieser Verweigerungshaltung übrigens auch geholfen. So könnten sie ihren Job mittel- bis langfristig behalten. Die Entwicklung weiterdenken, heißt auch, deren Rolle in Frage zu stellen. Denn warum sollen immer diese faden, politlastigen Journalisten interviewen? Das Land hat genug Kabarettisten, die das sicher unterhaltsamer machen.

Die Kandidatenschar aber lässt sich treiben. Auch inhaltlich. Wie sonst ist der bizarre Wettbewerb zu erklären, bei dem es nur mehr darum geht, wann Herr oder Frau Präsident den Nationalrat auflösen, eine Regierung raushauen oder gar nicht erst angeloben? Hier haben wir es mit einer hyperventilierenden Amtsanmaßung zu tun, nicht mit realen Kompetenzen.

Derzeit gibt es aber offenbar keinen Kandidaten, der gegen die Verlugnerisierung des Wahlkampfs antritt. Den Baumeister selbst braucht es dazu gar nicht. Alle sind gern Kasperl. Lugner wird am Wahltag nichts reißen, aber stilistisch hat er sich mit seiner lange gepflegten Inszenierung durchgesetzt.

Konsequent – und quotenträchtig – wäre dieser Vorschlag: Wir ersparen uns die Wahl am 24. April. Stattdessen errichten wir eine große Tapetenwand vor der Hofburg, verbinden den Kandidaten die Augen. Und derjenige, der blind die Klinke der Tapetentür findet, der ist es dann.

So ersparen wir uns wenigstens eine Stichwahl. (Thomas Hofer, 8.4.2016)