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Pornografie ist allgegenwärtig – doch immer mehr junge Männer wollen auf sie verzichten

Foto: Reuters/Gaillard

So auf Onlinepornos fixiert zu sein, dass echter Sex unmöglich wird: Für dieses Phänomen gibt es bereits einen Namen, nämlich "Porn Induced Erectile Disfunction" (PIED, "durch Pornographie ausgelöste erektile Dysfunktion"). In der Psychologie ist man sich aber nicht einig, ob PIED tatsächlich existiert. Studien zeigen bislang lediglich eine schwache Korrelation zwischen hohem Pornokonsum und Schwierigkeiten beim Sex, die auch auf andere Kausalitäten wie Depressionen zurückzuführen sein könnten.

Pornoabstinenz

Nichtsdestotrotz hat sich in den vergangenen Jahren eine Community an meist jungen Männern gebildet, die sich gegenseitig in ihrer Pornoabstinzenz unterstützen. Sie verbinden sich beispielsweise auf NoFap.com oder dem gleichnamigen Reddit-Forum, das auf ein im Netz oft benutztes Synonym für Masturbation verweist (to fap). "Ich bin nicht mehr traurig und allein, sondern endlich am Leben", schreibt beispielsweise ein Nutzer, der Pornhub und Konsorten Adieu gesagt hat. "Als ich dieser Community beigetreten bin, hatte ich kein Selbstvertrauen. Meine Schulnoten waren miserabel, meine Beziehung am Scheitern", berichtet ein anderes Mitglied der Gruppe. Mittlerweile – nach über einem Jahr ohne Pornos – könnte er "nicht glücklicher" sein.

Nur Sex mit Gedanken an Pornos

Bis zu 200.000 Männern soll es ähnlich gehen. So groß schätzt der NoFap-Gründer Alexander Rhodes die Community ein. Rhodes, der einst bei Google gearbeitet hat, kümmert sich mittlerweile hauptberuflich um die Gemeinschaft. Gegenüber Time Magazine gibt er an, dass er als Jugendlicher seine Zeit ausschließlich mit "Pornos und Videospielen" verbracht habe. Als er seine erste Freundin hatte, hab er nur mit ihr Sex haben können, wenn er dabei an die zuvor gesehenen Videoclips dachte. Versuchte er, Onlinepornos auszublenden, verlor sein Körper das Interesse am Geschlechtsverkehr.

Erste Generation mit ständigem Zugriff

So geht es immer mehr jungen Männern – beziehungsweise geben das immer mehr junge Männer zu. Die jetzige Generation der 15- bis 30-Jährigen ist die erste, die mit dem ständigen Zugriff auf Onlinepornographie aufwuchs. Umfragen haben ergeben, dass der erste Kontakt mit Internetpornos inzwischen mit 12 Jahren erfolge. Das größte Portal Pornhub spricht von 12 Millionen Stunden, die alle Nutzer kombiniert täglich auf der Seite verbringen. Die Hälfte aller Männer und 16 Prozent aller Frauen zwischen 18 und 39 Jahren schauen sich mindestens einmal pro Woche Onlinepornos an.

Auch positive Effekte

Das hat positive wie negative Seiten. So fühlen sich Menschen durch das nahezu unendliche Angebot an Fetisch-Videos in ihren eigenen Vorlieben unterstützt. Sie werden darin bestärkt, ihre eigenen Neigungen auszuleben. Gleichzeitig steigt wohl auch die Toleranz für andere Spielformen, wie Studien nahelegen: So zitiert die Autorin Peggy Orenstein in ihrem Buch "Girls & Sex" Umfragen, denen zufolge heterosexuelle Pornokonsumenten eine viel höhere Unterstützung für die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften aufweisen als jene gleichaltrigen Mitmenschen, die keine Pornos ansehen.

Wissenschafter im Zwiespalt

Die NoFap-Bewegung warnt allerdings davor, dass jungen Menschen der Pornokonsum entgleitet. Die überwiegende Mehrzahl ihrer Mitglieder will Pornographie keineswegs verbieten, für sich selbst allerdings eine andere Form der Sexualität ermöglichen. Als Guru der Community gilt der 59-jährige Biologie-Professor Gary Wilson, der auf der Southern Oregon University lehrt und die Webseite "Your Brain on Porn" ins Leben gerufen hat. Er behauptet, dass das Gehirn durch ständige Konfrontation mit Pornographie auf "immer neue, ständig verfügbare Sexszenarien" trainiert werde.

Andere Forscher, etwa David Ley, sehen diese Kausalität kritisch. Ley argumentiert, dass ein massiver Konsum von Onlinepornographie eher ein Symptom für dieselben Probleme sei, die gleichzeitig erektile Dysfunktion und Bindungsängste auslösten, etwa Depressionen. Betroffene widersprechen dem. "Wenn ich durch Pornographie eine Erektion bekomme und ohne Pornographie nicht, dann reicht mir das als Beweis", sagt Gabe Deem, der mit Reboot Nation ein weiteres Forum für Abstinente gegründet hat. Mit "BrainBuddy" gibt es sogar eine App, die ähnlich wie Fitnesstracker das Pornoverhalten der Nutzer misst.

Zu wenige Studien

Fakt ist, dass bislang viel zu wenige Studien über Pornosucht und gesundheitliche Auswirkungen durchgeführt wurden. Es ist zu vermuten, dass das Risiko für eine Abhängigkeit ähnlich wie bei anderen gesellschaftlich anerkannten Substanzen oder Verhaltensformen ist. So können viele junge Erwachsene Alkohol konsumieren, ohne süchtig zu werden. Dasselbe gilt für Videospiele oder Glücksspiel. Ein Verbot von Pornographie ist durch technologische Ausweichformen wie VPN ohnehin unmöglich. Der britische Pornofilter, bei dem sich Nutzer aktiv registrieren müssen, zeigte außerdem, dass dadurch auch viele andere Websites – etwa mit Infos zu sexuell übertragbaren Krankheiten – geblockt wurden.

Diagnose und Behandlung

Dass dem Thema mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, ist allerdings ebenso eindeutig. Mittlerweile besuchen in den USA rund 40 Prozent aller Internetnutzer Pornoseiten, in Europa dürften diese Werte ähnlich sein. Und: Je jünger Menschen sind, desto öfter gehen sie auf Pornhub, Xhamster und andere Angebote. Selbst, wenn nur ein Bruchteil von ihnen negative Konsequenzen davonträgt, sollten Ärzte und Psychologen in der Lage sein, dies zu diagnostizieren und zu behandeln. (fsc, 8.4.2016)