St. Pölten – Am Anfang steht die Rückkehr. Auf abweisend dunkler Bühne erscheint eine schwarzbemäntelte Figur, tief gebeugt, beunruhigt, allein. Die Gestalt schlägt ihre Hände auf die Knie und dann vor das Gesicht. So leitet Martin Schläpfer (57), Leiter des deutschen Ballett am Rhein, sein großes Stück 7 ein, das am Wochenende im Festspielhaus St. Pölten gastierte. Mit der Titelziffer ist Gustav Mahlers Symphonie Nr. 7 e-Moll gemeint, deren erster Satz mit einem düsteren Adagio beginnt. Dieses kommentierte Mahler einmal mit: "Hier röhrt die Natur."
Da Schläpfer nicht vorhatte, die Musik zu vertanzen, sondern den Tanz in einen Dialog mit ihr zu bringen, stehen dem "Röhren" in 7 die Rückkehr und der Natur die Gesellschaft gegenüber. Der Choreograf versucht, den akustischen Form- und Stimmungskonstrukten der Mahler'schen Komposition mit tänzerisch-visuellen Mustern aus Abstraktion und Narration zu begegnen. Das Ergebnis ist ein Ausloten von Stimmungen, wie sie in Gesellschaften auch die Bewegungen ihrer Politik bestimmen können.
Was 7 vermittelt, ist die tiefe Beunruhigung unserer Gegenwart als Äquivalent zu der nervösen Stimmung der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, wie sie in der 1905 fertiggestellten Symphonie anklingt. Die Irritation scheint dem Ensemble des Ballett am Rhein wie eingeimpft zu sein. Seine Tänze des Zurückkommens sind durchschnitten von einer militärischen Komponente: Stiefeltritt, Habt-Acht-Geste, synchron tanzende Gruppen, gefährliche Spagate, psychischer Schmerz, angedeutete Gewalt.
Irritierende Oberfläche
Dafür passt das Formvokabular des neoklassischen Balletts bestens. Dessen Ordnung durchbricht Schläpfer zwar immer wieder, hält aber Disziplin und Stilisiertheit aufrecht. Das führt zu einem Bruch zwischen Stimmung und Struktur sowie zur Darstellung einer irritierten Oberfläche, die die darunter wirkenden, extremen Kräfte nur andeutungsweise preisgibt. Die Übereinstimmung dieser Art der künstlerischen Formulierung mit der "Performance" realer gesellschaftlicher Dynamiken liegt auf der Hand.
Beruhigen kann sich die von rund vierzig Tänzerinnen und Tänzern repräsentierte Gesellschaft während des gesamten Stücks nicht. In allen dem Ballett zur Verfügung stehenden Konstellationen – vom Solo bis zur großen Gruppe – werden die Personen Szene für Szene auf die Bühne geschwemmt und wieder fortgespült. Sie feiern und misshandeln einander, geraten von einer Verrücktheit in die nächste. Alle sind äußerlich fesch und fit. Doch das nützt ihnen nichts, es treibt sie nur weiter in ihren hektischen Spielen, in denen auf Heimkünfte gewettet wird, die nie stattfinden.
Nicht genug Platz
So übernimmt im letzten Satz eine Solistin den Hauptpart, die ein billig-schickes Beistelltischchen als Deckung, Schild und Podest nutzt. Dieser pompöse 5. Satz wurde Mahler von Beginn an immer wieder mit der Begründung übelgenommen, er erinnere zu sehr an Wagners Meistersinger. Doch Mahler lässt sein Überschäumen wieder in sich zusammenbrechen. Das quittiert Martin Schläpfer mit einem Kreislauf des Ensembles um die Solistin auf ihrem Tischchen-Sockel, der in dem Kinderspiel Reise nach Jerusalem ernüchternd kulminiert: Es scheint nie genug Platz für alle zu geben.
Das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter der Leitung von Wen-Pin Chien bemühte sich redlich, aber nicht durchgehend überzeugend um Mahlers Symphonie. Der nächste Tanztermin im Festspielhaus St. Pölten ist übrigens der 30. April. Gezeigt wird ein von der GöteborgsOperans Danskompani getanzter Abend mit zwei Stücken der beiden Größen Sidi Larbi Cherkaoui und Saburo Teshigawara. (Helmut Ploebst, 10.4.2016)