Der britische Premier Harold Macmillan wurde von einem Jungpolitiker gefragt, was denn das Schwierigste beim Regieren sei? "Events, my dear boy, events!", sagte Macmillan. Sein Nachfolger heute, David Cameron, macht jetzt die bittere Erfahrung, dass man auch mit einer absoluten Parlamentsmehrheit die Ereignisse nicht voraussehen oder kontrollieren kann. Das dilettantische Krisenmanagement nach den Enthüllungen über seine Beteiligung an einer von seinem Vater gegründeten Briefkastenfirma in Panama hat nicht nur seinem Ansehen geschadet. Die Affäre könnte sich auch ohne weitere Pannen nicht nur für ihn persönlich, sondern auch für das proeuropäische Lager so knapp vor dem Referendum über den EU-Austritt als verhängnisvoll erweisen.

Warum eigentlich? Was hat der vor seinem Amtsantritt ordnungsgemäß versteuerte Gewinn aus dem Verkauf seiner Anteile mit den Argumenten für oder gegen den EU-Austritt seines Landes zu tun? Zuerst hat sein als Verschleierungsversuch und gar als Heuchelei empfundenes Verhalten sein Ansehen erschüttert. Ihm wird auch deshalb unmoralischer Umgang mit seinem eigenen Fall vorgeworfen, weil er selber wiederholt mit großer Geste Transparenz in der Finanzwirtschaft auch international gefordert und die Steuerflucht eines bekannten Schauspielers und einiger Unternehmen wiederholt als "unmoralisch" angeprangert hat.

Nachdem seine persönliche Glaubwürdigkeit schwer gelitten hat, stehen die Signale deshalb weiter auf Sturm, weil vor dem EU-Referendum im Juni die Gegner alles daransetzen werden, das Zugpferd der Befürworter als Heuchler abzustempeln und ihn in die Defensive zu drängen. Zwar werden im berüchtigten Panama-Dossier 140 Politiker und Beamte, einschließlich zwölf früherer oder amtierender Staats- und Regierungschefs, erwähnt, jedoch hat weder der Fall des ukrainischen Präsidenten Poroschenko noch der des argentinischen Staatschefs Macri eine mit der Bedeutung der Cameron-Affäre vergleichbare politische Brisanz.

Cameron legte sich selber einen Fallstrick, indem er ohne Not vor der letzten Unterhauswahl sein politisches Schicksal mit dem Referendum verbunden hatte. Er gewann die absolute Mehrheit, aber die Identitätskrise der EU, infolge auch der unkontrollierbaren Dynamik der Völkerwanderung, ist inzwischen viel gravierender geworden. Und nun muss sich Cameron mit den unangenehmen Folgen der Panama-Affäre auseinandersetzen. Den strahlenden Wahlsieger von Mai 2015 könnten die Folgewirkungen nach einem Brexit am 23. Juni sogar sein Amt kosten.

Das Medienecho in Großbritannien zeigt, welchen Zerreißproben die gespaltene Regierungspartei ausgesetzt wird. Viele sehen bereits den ehrgeizigen Londoner Bürgermeister Boris Johnson, den innerparteilichen Wortführer der EU-Gegner, als sicheren Nachfolger. Beobachter erinnern allerdings daran, dass sowohl im Falle des Sturzes von Macmillan 1963 als auch von Margaret Thatcher 1990 nicht die Wortführer der Rebellion, sondern Politiker aus dem zweiten Glied, wie Alec Douglas-Home und John Major, zum Zug kamen. So oder so, der Ausgang des Dramas in London wird alle Europäer betreffen. (Paul Lendvai, 11.4.2016)