Die gestrige Unterhausdebatte hat in ungewöhnlicher Schärfe die neue Realität britischer Politik zum Vorschein gebracht. Unter ihrem radikalen Vorsitzenden Jeremy Corbyn positioniert sich die Labour Party eindeutig als Sprachrohr der Wütenden und Entrechteten und reiht sich damit ein in die Phalanx linker Populisten, von Griechenlands Premier Alexis Tsipras bis zum demokratischen US-Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders.
Das Land, das er einmal regieren will, bezeichnet Corbyn als "das Herz der globalen Steuervermeidungsindustrie". Dafür gibt es viele Anhaltspunkte: In der City of London beschäftigen sich Zehntausende von Bankern, Brokern und Anwälten nur damit, die Superreichen weltweit immer noch ein wenig reicher zu machen. Dazu bedienen sie sich der Reste des britischen Empire wie der berüchtigten Britischen Jungferninseln, deren steuerpolitische Unschuld schon vor Jahrzehnten verlorenging.
Wahr ist allerdings auch: Die von Premier David Cameron geführten Regierungen unternehmen seit einigen Jahren erhebliche Anstrengungen, die korrupten Praktiken zu beenden. Steuerlicher Transparenz haben sich auch EU-Mitglieder wie Österreich und Luxemburg jahrelang widersetzt. Und in autoritär regierten Staaten wie Russland und China gibt es nicht einmal eine öffentliche Debatte, geschweige denn Steuertransparenz der Mächtigen und Reichen. (Sebastian Borger, 11.4.2016)