Denkt man an Tapeten, fällt einem gern tantenhafter Dekor zwischen Paisleymuster und Akanthusornament ein, pickige Papierbahnen, welche so manchen Raum wie eine düstere Schachtel aussehen lassen. Mal abgesehen von der Fototapete "Weißer Sand von Santa Cruz" oder den psychedelischen Papierbahnen eines Verner Panton.

Dabei ist die Tapete zu Unrecht und zu lange in die Schamecke des Interieurdesigns verdammt worden, auch wenn sie punktuell immer wieder hier und dort als Minitrend aufflackerte. Neue Materialien, Fertigungstechniken und Motive blasen nun gehörig in die Staubschicht, die auf dem alten Wandschmuck liegt, der Wände nicht nur ziert, sondern das Zeug zum optischen Zauberstab hat.

Kurzum: Schaut man sich auf Messen wie der Kölner Möbelmesse oder der Pariser Maison et Objet um, wird klar – die Tapete ist gekommen, um zu bleiben und der Fadesse der weißen Wand am Zeug zu flicken.

Tapete reloaded: Platt auf die Wand gibt es "Mars und Venus" von Christian Beran und Miguel Henz.
Foto: Beran/Henz

Die neuen Tapeten überraschen vor allem mit einer unfassbaren Vielfalt. Während der Kölner Möbelmesse konnte man auf dem Messestand des deutschen Tapeteninstituts (DTI) erfahren, dass es aktuell mehr als 10.000 Dessins, Stilrichtungen und Farben zu haben gibt.

Schluss also mit der Fadesse omnipräsenter monochromer Wandgestaltung? Wenn es nach dem Geschäftsführer des Instituts, Karsten Brandt, geht, auf jeden Fall. "Wie kaum ein anderes Gestaltungsmittel der Inneneinrichtung gibt uns die Tapete die Freiheit, das auszudrücken, was wir fühlen. Mit Tapeten kreieren wir Räume, die zu uns passen. Tapete ermöglicht Individualität und Abwechslung statt Mainstream und Monotonie", meint er.

Aufheiterung

Damit mag der gute Mann Recht haben. Mutig sollte man halt ein bisschen sein. Was die Designer so an Dekors ausbaldowern, ist mitunter alles andere als eine Blümchentapete. Der Mut könnte sich zwecks Stubenaufheiterung durchaus lohnen, schließlich hat eine Tapete das Zeug dazu, nicht nur Bilder im Raum, sondern auch im Kopf zu erzeugen.

Das dürfte ebenso zum Comeback der Wandverkleidung beitragen. Ist es da draußen grau, düster und bedrohlich, schafft man sich zu Hause seine scheinbare Traummenagerie, vom Tropenwald bis hin zu aufgeblasenen Gottheiten der Antike.

In Perchtoldsdorf gestalten Christian Beran und Miguel Henz Räumlichkeiten und Oberflächen nach Maß und Kundenwunsch. Dabei bieten sie sehr unterschiedliche Motive an, imposante Beispiele sind Ikarus oder Venus samt Mars. Diese Motive der Gestalter sind riesig vergrößerte Ausschnitte aus Gemälden alter Meister, farblich verändert und mit geometrischen Formen zeitgenössisch interpretiert.

Die Designs gibt es in diversen Qualitäten und Ausführungen, als klassische Tapete, Vliestapete, oder in einer selbstklebenden Variante. Für all jene, die in Tapetendingen nicht so sattelfest sind: Bei der Vliestapete besteht das Trägermaterial aus einer hochwertigen, strapazierfähigen und langlebigeren Zellstoff-Textilfaser-Kombination. Beran und Henz zeigen wie andere auch, dass die Tapete Zimmern neue Dimensionen verleiht. Auch wenn der Schein nur trügt – bei Pinguinen im Zoo funktioniert es schließlich auch.

Experimentell

Der holländische Designer Piet Hein Eek geht die Sache in Manier des holländischen, experimentellen Designs an. Auch auf diesem Feld ist die Tapete ein gern gesehener Werkstoff. Schon vor Jahren ließen die Designerinnen von Front-Design ein Mäuslein an einem Stück Papier knabbern und vervielfältigten das entstandene tierische Dekor auf Tapeten.

Eek zaubert in Form seiner "Materials"-Kollektion allerlei Rustikales und Industriechic an die Wände. Was früher als grindig abgetan worden wäre, bringt nun neues Raumfeeling. Blau gestrichene, abgenutzte Holzbalken, schwarz bemalte Ziegel oder weißen Marmor bringt er aufs Tapet. Die Entwürfe von Eek müssen, auch das ist eine neue Façon des Papierkleides, nicht unbedingt an die feste Wand. Der Designer pickt seine Entwürfe auch auf fahrbare Holzwände, die zu riesigen, mobilen Raumtrennern werden.

Einer der rustikaleren Entwürfe von Piet Hein Eek.
Foto: NLXL

Archaischer geht es die in London beheimatete Marthe Armitage an. Die 85-Jährige druckt ihre von Hand gezeichneten und mittels Linolschnitten ausgeführten, oft botanischen Muster seit den 1950er-Jahren mit einer mehr als hundert Jahre alten Offset- Lithografiepresse und selbst angemischten Ölfarben auf Papier.

Nach einer jahrzehntelangen Durststrecke, in der diese Art von Handwerk nur von wenigen geschätzt wurde und man Tapeten lieber im Baumarkt besorgte, kaufen heute Promis wie die Schauspielerin Tilda Swinton oder das Model Stella Tennant bei der alten Dame ein.

Andere ehrwürdige Tapetenhäuser sind Cole & Son in London oder die Manufaktur Zuber im Elsass. Wem der Geschmack eher nach Jimi Hendrix als nach Jane Austen steht, der gibt die Url www.tapetender70er.de ein und schon wird ihm ein bisschen schwindelig.

Es sind aber nicht nur Drucktechniken und Dessins, die der Tapete auf neue Sprünge helfen und Räume zu einem neuen Rückzugsgebiet werden lassen. Auch die Technologie spricht ein immer gewichtigeres Wörtchen mit. Verschiedene Unternehmen, zum Beispiel die englische Firma Lomox, arbeiten an OLED-Tapeten, die Muster anzeigen und sogar Filme abspielen können sollen.

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Foto: Tapeten der 70er

Umweltschützend und energiesparend geht es das Unternehmen Norafin Industries Gmbh an. Fünf Jahre lang tüftelte man dort an einer Tapete aus Flachs, welche die Wände nicht nur schmückt, sondern zusätzlich isoliert. Die Anleitung dazu holte man sich aus der Vergangenheit, denn bereits vor Jahrhunderten wurden in Schlössern Wandteppiche und Vorhänger mit eingewebtem Flachs an die Wände gehängt.

Auch wenn die Tapete lang als altmodisch galt, gelang es nie, ihr gänzlich den Garaus zu machen. Das zeigt auch eine aktuelle Ausstellung im Pariser Musée des Arts décoratifs, in der es bis 12. Juni Blumen, Wälder mit Pfauen und Papageien, den Garten Eden im Panoramablick und vieles mehr zu sehen gibt.

Der kundgetane Anlass, nämlich der 400. Geburtstag der Tapete, ist allerdings zu hinterfragen. Die ersten Tapeten kamen nämlich aus China und hielten bereits um 1500 in Europas wohlhabenden Häusern Einzug. Später entwickelte jede Epoche vom Barock bis hin zum Jugendstil ihre eigenen Zeichen, die man an die Wand pappte oder hing. Diese reichten von Samtbrokat bis hin zum sachlichen Stil der Funktionalisten.

Wann auch immer die Geburtsstunde der Tapete nun wirklich gewesen sein mag – ihre Sterbestunde wurde bis auf Weiteres vertagt. Gut so. (Michael Hausenblas, RONDO, 26.4.2016)