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Tausende Rosen hat der Soulstar Al Green seinen Fans gestreut, am Mittwoch bekommt er selbst welche. Al Green wird 70.


Foto: Corbis / Victoria Smith

Wien – Wer nach Memphis fährt, hat die Wahl zwischen Gott und König. Gott ist klar im Vorteil. Den Pilgern des 1977 verstorbenen Elvis Presley bietet sich außer Graceland nur noch das Sun Studio zur Anbetung an. Für Gottes Kinder offeriert Memphis über 800 Tempel. Einer davon gehört Al Green. Nicht weit von Graceland entfernt steht die Kirche des Full Gospel Tabernacle. Parkt davor ein weißer Rolls-Royce, geht Reverend Al Green einer seiner zwei Bestimmungen nach. Mit der Ersten wurde er weltberühmt.

Al Green ist ein schwarzer Popstar, ein Soulsänger von sagenhaftem Talent. Ein Verführer, ein Schmeichler. Doch seine Biografie offenbart den Zwiespalt vieler Schwarzer seiner Generation. Die Unentschiedenheit zwischen weltlichen Verführungen und der Schuld gegenüber der Kirche, die den Nachfahren der Sklaven lange als einziges soziales Netz diente. Al Green hadert bis heute damit, war hin und hergerissen zwischen dem einen und dem anderen Extrem. Mit Gottes Hilfe, würde er sagen, hat er die Balance gehalten. Heute, Mittwoch, wird Al Green 70 Jahre alt.

Das Schicksal begegnete dem am 13. April 1946 in Arkansas geborenem Sänger in Gestalt von Willie Mitchell. Ende der 1960er-Jahre wurde der Bandleader und Produzent in Texas auf den Sänger aufmerksam und lud ihn ein, nach Memphis zu kommen. Dort hatte Mitchell mit Künstlern wie Bobby "Blue" Bland oder O. V. Wright eine musikalische Formel erarbeitet, die zu den Besten des Southern Soul gehört. Green fragte, wie lange es dauern würde, bis er ein Star wäre. "Zwei Jahre", antwortete Mitchell. Green lehnte ab, zu lange.

Manifeste der Liebe

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Ein paar Monate später stand er bei Mitchell im Studio. Der wurde sein Mentor und half ihm, seine eigene Stimme zu finden. Mitchell bremste die Musik ab, machte sie weicher, bis sie das geschmeidige Falsett des Sängers perfekt umrahmte. Der Erfolg der ersten Veröffentlichungen war noch bescheiden, dann nahmen sie Tired Of Being Alone auf. Green glaubte an den Song, Mitchell nicht. Er wurde 1971 veröffentlicht, zuerst passierte ein paar Monate lang nichts. Plötzlich ging Mitchells Telefon über. Tired Of Being Alone stürmte die Charts. Schneller als er Halleluja rufen konnte, war Green ein Star und legte nach: Let's Stay Together. I'm Still In Love With You. Call Me. Oder L-O-V-E, dessen Großbuchstaben manifest für seine Kunst stehen.

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Al Green infiltrierte das weiße Amerika über das Schlafzimmer. Mit männlicher Sensibilität und der Schlitzohrigkeit eines Landeis pries er verbotene Früchte an wie keiner vor ihm. Doch auf dem Höhepunkt seiner Popularität hatte er ein Erweckungserlebnis.

Während er in einem Konzert Free At Last sang, vernahm den Ruf des Herrn. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. 1974 überschüttete ihn seine Freundin mit kochender Grütze, weil er sie nicht heiraten wollte, anschließend erschoss sie sich. Für Green war das ein weiteres Signal des Himmels, seinen Weg zu überdenken. Mit "It's you that I want, but it's him that I need" beschrieb er sein Dilemma zwischen Baby und Jesus. Den Zuschlag erhielt der Herr.

Ende 1977 ging Green zu Mitchell und teilte ihm mit, dass er nur noch Gospelalben aufnehmen würde. Als Mitchell in der 1984 entstandenen Doku Gospel According To Al Green davon erzählt, wirkt er, als würde er in eine Zitrone beißen. "Warum machst du nicht beides?", hat er ihn gefragt. Doch Green wollte nicht. Mitchell musste seinen Goldjungen ziehen lassen. Der widmete sich nun seiner ein paar Jahre zuvor angeschafften Kirche und wurde zu Reverend Al Green. Bis heute hält der Vater dreier Töchter dort Messen ab, sie dauern Stunden, sind Hochämter am Rand der Ekstase, mit Band und Chor. Nur dass er Homosexualität gerne als Sünde geißelt, schmälert ihren Genuss.

Fulminates Comeback

Seine in den 1980ern veröffentlichten Alben haben alle Gospelbreitseite. Von den Covers blickt meist ein breit grinsender Mann, der angezogen ist, als würde er Bill Cosbys weggelegte Pullover tragen. Live weigerte er sich, die alten Hits zu spielen, erst in den 1990ern verwarf er dieses Dogma und nahm 1993 das fulminante Album Don't Look Back auf, auch das Duett Funny How Time Slips Away mit Lyle Lovette zeigte ihn im Jahr darauf in Höchstform. Und als sich die TV-Anwältin Ally McBeal in ihrem Bett wälzte, erschien ihr Al Green und spendete mit How Can You Mend A Broken Heart Trost.

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2003 fand das Dreamteam Mitchell/Green wieder zusammen. Zwei von drei Alben aus Greens bisherigem Spätwerk haben sie produziert und die Legende so weitergeschrieben.

Al Green hat heute einen Platz im kollektiven Gedächtnis Amerikas. Zu seiner Musik tanzt das First Couple, ihn intonierte Barack Obama im Wiederwahlkampf und buhlte mit Let's Stay Together erfolgreich um Stimmen. Southern Soul im US-Wahlkampf, das konnte nur Al Green gelingen. Möge er der Welt noch lange seine Botschaft übermitteln, die von Love and Happiness. (Karl Fluch, 13.4.2016)