Gianroberto Casaleggio zeigte sich nur ungern in der Öffentlichkeit – was zweifellos die Legendenbildung befeuerte, dass er die wahre Kraft an der Spitze von Beppe Grillos Protestbewegung war.

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Beppe Grillo hat einmal erzählt, dass er gar nicht gewusst habe, was ein Blog überhaupt sei: Das habe ihm erst Gianroberto Casaleggio gezeigt, als dieser ihm 2005 seine Website eingerichtet habe. Der Blog des Genueser Komikers Grillo zählt seither zu den beliebtesten Internetforen Italiens und ist zugleich sein wichtigstes Kommunikationsinstrument mit seinen Anhängern.

Und natürlich war der am Dienstag im Alter von 61 Jahren an einem Herzleiden verstorbene Casaleggio auch mit von der Partie, als Grillo 2009 seine Protestbewegung aus der Taufe hob.

Nur vier Jahre später wurde der "Movimento 5 Stelle" (M5S) bei den Parlamentswahlen 2013 auf Anhieb stärkste Oppositionspartei – und heute ist die Bewegung populär wie nie zuvor: In den Umfragen nähert man sich der 30-Prozent-Marke. Bei den Kommunalwahlen in Rom von Anfang Juni gilt die 37-jährige Kandidatin Virginia Raggi als aussichtsreichste Bewerberin. Den Erfolg verdanken die "Grillini" nicht nur dem temperamentvollen Grillo, sondern auch dem öffentlichkeitsscheuen Casaleggio: Der esoterisch angehauchte Multimedia-Fachmann war Vordenker und Guru der Bewegung.

Geheimnisvolle Person

Der Norditaliener, der mit seinen langen, grauen Locken an den einstigen deutschen Kommunarden Barden Angelo Branduardi erinnerte, war eine der obskursten Figuren in der an originellem Personal nicht armen italienischen Politik. Letztlich wusste man wenig von ihm – bekannt war eigentlich nur, dass der Vegetarier sich auf Computer verstand und dass er eine Neigung zu Verschwörungstheorien besaß. "Big Data" und die sozialen Medien verkörperten für Casaleggio eine "Zeitenwende": Die Analyse des Nutzerverhaltens mache aus dem Internet eine "Wahrsage-Maschine", mit der die Zukunft vorausgesagt werden könne.

Demokratie per Mausklick

Während Grillo die Rampensau gab, schrieb Casaleggio das "Nicht-Statut" des M5S. Von ihm stammte auch die Methode, wie die Bewegung ihre meist völlig unbekannten Kandidatinnen und Kandidaten für die politischen Ämter auswählt: Registrierte Aktivisten geben auf Grillos Blog per Mausklick ihre Stimmen ab. Oft reichen in dieser Internetdemokratie wenige Dutzend Klicks für eine Kandidatur. Casaleggio war jeweils auch der Strippenzieher, wenn ein unbotmäßiges Mitglied aus der Bewegung ausgeschlossen werden musste – was seit den Wahlen 2013 oft vorgekommen ist. Die Macht Casaleggios war mitunter auch den Aktivisten des M5S unheimlich.

Mit dem Tod des umstrittenen Gurus droht dem M5S wenige Wochen vor den Kommunalwahlen eine Führungskrise: Grillo hatte im Februar behauptet, bei der Gründung der Bewegung "nur gescherzt" zu haben und dass er sich in Zukunft wieder auf seine bisher sehr erfolgreiche, aber unterbrochene Komikerkarriere konzentrieren wolle – was er jetzt auch tut. Somit sieht sich die Bewegung gleich beider Überväter beraubt.

"Vision und Weitsicht"

Zwar haben Grillo und Casaleggio vor einigen Monaten ein neues Führungsgremium eingesetzt – in der Gestalt von fünf Abgeordneten und Senatoren – doch diese sind einander nicht alle gewogen, und es wäre keine Überraschung, wenn es unter ihnen schon bald zu einem unschönen Machtkampf käme. "Vielleicht beginnen wir erst heute zu kapieren, wie wichtig die Vision und die Weitsicht von Casaleggio waren", twitterte der trauernde Grillo am Dienstag. (Dominik Straub aus Rom, 12.4.2016)