Kirkegaard: "Ökonomisch betrachtet gibt es eine simple Antwort, was man in dieser Situation tun kann: Man muss den Flüchtlingen weniger zahlen als den Einheimischen."

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STANDARD: Die Weltwirtschaft wird 2016 erneut im Schleichtempo wachsen. Woran liegt das: Fehlen die Reformen, gibt es keine Innovation mehr, oder sind das die Nachwehen der Krise?

Jacob Funk Kirkegaard: Im Fall Europas spielen fehlende Reformen sicher eine Rolle. Länder wie Italien und Spanien müssten ihren Arbeitsmarkt flexibler gestalten. Aber insgesamt muss man anerkennen, dass das potenzielle Wachstum in Europa aktuell sehr niedrig ist. Aus heutiger Sicht wird das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahrzehnten rund um ein Prozent liegen. Mehr ist nicht drin.

STANDARD: Woran liegt denn das?

Kirkegaard: An der unvorteilhaften demografischen Entwicklung. Die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in der EU schrumpft. Zugleich sind die Investitionen der Unternehmen und der Staaten zu niedrig. Hinzu kommt, dass der Produktivitätszuwachs in Europa wie im Rest der Welt zu langsam ist.

STANDARD: Wie lässt sich das ändern?

Kirkegaard: Das ist ja das Problem: kurzfristig gar nicht. Im Regelfall sorgen neu auf den Markt kommende Unternehmen mit ihren Dienstleistungen oder Waren für einen gesamtwirtschaftlichen Innovationsschub. Das wissen wir aus der Forschung. Eines der Probleme Europas ist, dass es nur wenige erfolgreiche Start-ups gibt, die den Durchbruch schaffen. Viele der dominierenden Firmen sind im 19. Jahrhundert gegründet worden. In den USA dagegen sind die noch jungen Konzerne Apple und Google heute die höchstbewerteten des Landes. Dieses Manko Europas lässt sich nicht schnell beheben. Die Überalterung ließe sich lösen, indem mehr Migration zugelassen wird. Aber das ist politisch heikel.

STANDARD: Allerdings kamen im vergangenen Jahr über eine Million großenteils junge Flüchtlinge in der EU an. Das sollte gegen die Überalterung helfen.

Kirkegaard: Die EU hat ein gewaltiges Problem damit, Einwanderer aus Ländern zu integrieren, die nicht aus westlichen Industrienationen kommen. Deshalb ist mehr als fraglich, ob die Flüchtlinge, von denen die meisten aus dem arabischen Raum stammen, gegen das Demografieproblem helfen. Die meisten werden in die dauerhafte Arbeitslosigkeit abrutschen, außer die EU-Länder ändern ihre Strategie.

STANDARD: Was meinen Sie?

Kirkegaard: Viele Länder sollten mehr Geld ausgeben, um Flüchtlingen die Sprache beizubringen und sie für den Arbeitsmarkt zu schulen. Aber selbst diese Anstrengungen werden nichts daran ändern, dass die meisten Flüchtlinge weniger Fertigkeiten für den Arbeitsmarkt mitbringen als Einheimische. Ein Arzt aus Syrien befindet sich schon deshalb im Nachteil, weil er die Sprache nicht spricht. Ökonomisch betrachtet gibt es eine simple Antwort, was man in dieser Situation tun kann: Man muss den Flüchtlingen weniger zahlen als den Einheimischen. Dann haben sie eine Chance, Jobs zu finden.

STANDARD: Für Gewerkschaften ist das nicht akzeptabel.

Kirkeegard: Wer Flüchtlinge integrieren will, muss Lohndumping betreiben, die gesetzlich oder per Kollektivvertrag festgelegten Mindestlöhne sollten für Flüchtlinge nicht gelten. Das klingt heikel. Doch man muss man sich vor Augen führen, was die Alternative ist. Bleiben die Flüchtlinge ohne Arbeit, führt das zu wachsenden Vorurteilen gegen diese Gruppe, zu mehr sozialen Spannungen. Zugleich entsteht eine Parallelgesellschaft unter den Einwanderern. Wozu das führen kann, hat man in Europa, in Paris und Brüssel, in den vergangenen Monaten erlebt.

STANDARD: Gibt es Länder, die das, was Sie empfehlen, schon umsetzen?

Kirkeegard: Nein. Aber es gibt Staaten, die Ausnahmen vom Mindestlohn zulassen. In den Niederlanden erhalten 16-Jährige nur 50 Prozent des Mindestlohns, erst 23-Jährige bekommen ihn voll ausbezahlt. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen ist in den Niederlanden extrem niedrig. Warum also nicht ein ähnliches Modell für Flüchtlinge: Im ersten Jahr bekommen sie nur 60 Prozent des Mindestlohns, dann 70 und so weiter. Wenn diese Menschen produktive Mitglieder der Gesellschaft werden wollen, brauchen sie vor allem eines: Arbeit. (Andras Szigètvari, 13.4.2016)