Jan Böhmermann hat mit seiner "Schmähkritik" an Erdoğan eine politische Debatte über Meinungsfreiheit und das deutsche Strafrecht ausgelöst.

Foto: ZDF/Jens Oellermann

Ein "Strafverlangen" der Türkei an die deutsche Bundesregierung, ein persönlicher "Strafantrag" Recep Tayyip Erdoğans gegen Jan Böhmermann – die Begrifflichkeiten in der Causa rund um die "Schmähkritik" des deutschen TV-Satirikers am türkischen Präsidenten wirken verwirrend. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass das deutsche Strafgesetzbuch zwischen "Beleidigung" (Paragraf 185 Strafgesetzbuch) und "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten" (Paragraf 103) differenziert.

Während die türkische Regierung ein offizielles Strafverlangen gemäß Paragraf 103 an ihre Kollegen in Berlin richtete, stellte Erdoğan wenig später einen persönlichen Strafantrag. Diese Doppelgleisigkeit bewirkt, dass in der Causa nun in jedem Fall strafrechtliche Ermittlungen stattfinden werden: Um ein Verfahren nach Paragraf 103 zu ermöglichen, müsste die deutsche Bundesregierung nach dem türkischen Ersuchen erst eine Ermächtigung erteilen. Darüber beraten das Bundeskanzleramt und das Justiz- und Außenministerium, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag bekanntgab, eine Entscheidung wird in den kommenden Tagen erwartet. Doch auf ein Verfahren nach Paragraf 185 kann die Regierung keinen Einfluss nehmen.

Antragsdelikte

Der Paragraf 185 und die ihn ergänzenden Paragrafen 186 (Üble Nachrede) und 187 (Verleumdung) sind sogenannte Antragsdelikte, bei denen vom Betroffenen persönlich ein Strafantrag gestellt werden muss, was Erdoğan offenbar getan hat. Paragraf 103 hingegen ist ein Offizialdelikt, kann grundsätzlich also von jedem angezeigt werden, für die Aufnahme von Ermittlungen sind jedoch gemäß Paragraf 104a das vorherige Ersuchen der sich beleidigt fühlenden ausländischen Regierung und die Zustimmung der deutschen Regierung unabdingbar. Das von der Staatsanwaltschaft Mainz nach privaten Anzeigen eingeleitete Ermittlungsverfahren darf bis zu dieser Ermächtigung lediglich der Beweissicherung dienen.

Debatte über Abschaffung

Über den Majestätsbeleidigungsparagrafen 103 ist mittlerweile eine politische Debatte entbrannt. Aus den verschiedenen Lagern kommt der Ruf nach einer ersatzlosen Abschaffung.

Der Paragraf geht ursprünglich auf eine Bestimmung im Preußischen Strafgesetzbuch von 1851 zurück, wie die Medienanwältin Maria Windhager erläutert. Die Regelung erscheine nicht mehr zeitgemäß. Im Kaiserreich wurde auch fleißig gestraft – ein prominentes Opfer war der Dichter Frank Wedekind. Dieser verarbeitete seine Erfahrung mit dem Gesetz in dem Gedicht "Der Zoologe von Berlin".

Ernst Busch verarbeitete Frank Wedekinds "Der Zoologe von Berlin" musikalisch.
Kampflieder De

Der Hamburger Justizsenator Till Steffen von den Grünen bezeichnet den Paragrafen als "Ausfluss vordemokratischen Strafrechts" und will eine Bundesratsinitiative zu seiner Abschaffung prüfen. Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Ralf Stegner, bezeichnete im ZDF-"Morgenmagazin" den Tatbestand der Majestätsbeleidigung als antiquiert. Kanzlerin Angela Merkel solle keinesfalls dem türkischen Strafersuchen stattgeben.

Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann fordert von der Bundesregierung ebenfalls eine Aufhebung. Der Fraktionschef der SPD, Thomas Oppermann, stellt gar eine Abschaffung in einem übernächste Woche stattfindenden Plenum in den Raum. Die Regierung könnte damit laut Oppermann eine Entscheidung über das türkische Strafersuchen elegant umschiffen.

Die Debatte über die Abschaffung ist nicht neu, schon in den 1960er-Jahren wurde sie geführt. Damals zeigte sich ein anderer nahöstlicher Herrscher klagsfreudig: Schah Mohammed Reza Pahlevi empörte sich über während seines Deutschland-Besuchs gezeigte Plakate mit der Aufschrift "Persien ein KZ". In Deutschland kennt man den Paragrafen 103 seit damals auch als "Schah-Paragrafen".

Lex Soraya

Im Jahr 1958 kam es beinahe sogar zu einer Verschärfung im Strafrecht: "Indiskretion" sollte als neuer Tatbestand eingeführt werden. Ursache war ebenfalls der Schah: Die als "Lex Soraya" in die Geschichte eingegangene Regelung sollte auf Betreiben des Außenministers Heinrich von Brentano das Verbreiten von Informationen über das Privatleben ausländischer Staatschefs und ihrer Familien unter Strafe stellen. Das Magazin "Stern" hatte zuvor über die bevorstehende Scheidung des Schahs von seiner Frau Soraya Esfandiary Bakhtiari berichtet. Der deutsche Botschafter in Teheran wurde mehrmals einbestellt und Sorayas Vater Khalil Esfandiary Bakhtiary, der Botschafter in Bonn, musste im Außenamt vorstellig werden. Von Brentano ermächtigte die Strafverfolgung des Magazins, das Verfahren wurde jedoch vom Gericht eingestellt. Der Gesetzesentwurf wurde vom Bundesrat gestoppt.

In jüngerer Vergangenheit wurde in München beim Christopher-Street-Day 2006 ein Umzugswagen wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes polizeilich verboten und ein Verfahren eingeleitet. Eine Papstpuppe war auf einem Wagen mit Plakaten eines geschminkten und mit Kondomen drapierten Joseph Ratzinger platziert worden. Das bayerische Verwaltungsgericht entschied schließlich im Jahr 2010, dass das Papamobil gesetzeskonform und das Verbot daher nicht korrekt war.

Letzter Ausweg EGMR

Selbst wenn Jan Böhmermann letztlich vor einem deutschen Gericht verurteilt werden sollte, wird ein Urteil in höherer Instanz kaum halten. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) genießt politische Satire besonderen Schutz.

In der Vergangenheit urteilte der EGMR zum Beispiel in der Affäre um das in der Wiener Secession ausgestellt Bild "Apokalypse" von Otto Mühl: "Satire ist eine Form künstlerischen Ausdrucks und gesellschaftskritischen Kommentars, die – durch die ihr inhärenten Eigenschaften der Übertreibung und Verzerrung der Realität – natürlicherweise provozieren und aufregen will. Entsprechend muss jeder Eingriff in das Recht eines Künstlers, sich in dieser Form auszudrücken, mit besonderer Sorgfalt vorgenommen werden."

Die Äußerungsfreiheit findet also nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR erst dort ihre Grenzen, wo diffamierende Meinungen ohne jede Grundlage oder bösgläubig abgegeben werden, erklärt Windhager: Meinungen dürfen beleidigen, schockieren und stören. (Michael Vosatka, 13.4.2016)