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17. Dezember 2013: Bundeskanzlerin Angela Merkel legt vor Bundestagspräsident Norbert Lammert ihren Amtseid ab.

Foto: APA/EPA/Hanschke

Bei Pressekonferenzen wird in diesen Tagen von den deutschen Regierungssprechern gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Meinungsfreiheit unantastbar sei. Dabei handelt es sich um klassische No-na-Aussagen: Die Freiheit der Meinung und der Kunst ist in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes festgeschrieben, würde Bundeskanzlerin Angela Merkel Meinungsfreiheit in Frage stellen, würde sie also ihren Amtseid verletzen.

Zwar wird das Schweigen der Bundeskanzlerin nach der willkürlichen Einbestellung des deutschen Botschafters in Ankara und ihre telefonische Entschuldigung bei ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu dem Schwur, das Grundgesetz zu wahren und zu verteidigen und ihre Pflichten gewissenhaft zu erfüllen nicht wirklich gerecht.

Doch auch wenn Berlin sich im Satirekonflikt mit der Türkei mit der Strategie des Herumeierns bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat, könnte die Staatsaffäre letztlich eine stärkende und reinigende Wirkung für die Situation der Meinungsfreiheit in Deutschland haben und damit auch die Regierung selbst stützen.

Nötig dafür wäre einerseits endlich eine klare Botschaft an die Türkei, indem das Strafersuchen Ankaras gegen Jan Böhmermann abgelehnt wird und Erdogan klargemacht wird, dass in Europa Meinungsfreiheit herrscht. Zwar scheint Merkel durch Ankaras Schritt in einer Lose-Lose-Situation zu sein: ermächtigt sie eine Strafverfolgung, lässt sie Erdogan seinen Feldzug gegen die Meinungsfreiheit auch in Deutschland führen. Lehnt sie das Ersuchen ab, riskiert sie eine weitere irrationale Reaktion des türkischen Machthabers.

Doch die Regierung in Berlin ist durch den parallelen privaten Strafantrag Erdogans in der bequemen Position, sich darauf berufen zu können, dass ohnehin ein Ermittlungsverfahren stattfinden wird und daher Ankaras Ersuchen nicht mehr nötig ist.

Andererseits könnte die deutsche Regierung die Debatte nutzen, um das deutsche Strafgesetzbuch einer gründlichen Entrümpelung zu unterziehen. Paragrafen wie der im Fall Böhmermann angewandte Majestätsbeleidigungsparagraf 103, aber auch der Blasphemieparagraf 166 sind antiquiert und haben in einem aufgeklärten Rechtsstaat keine Berechtigung mehr. (Michael Vosatka, 13.4.2016)