Wahlfamilie mit Frau, Kindern und Kaninchen: Benoît Poelvoorde und Virginie Efira in Jean-Pierre Améris' romantischer Komödie "Familie zu vermieten".


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Jean-Pierre Améris: Komödie mit persönlichem Bezug.


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Wien – Familiengefühle gegen Schuldenerlass. So lautet das nicht ganz selbstlose Angebot des Millionärs Paul-André. In Jean-Pierre Améris' romantischer Komödie Familie zu vermieten (Une famille à louer) mietet sich der Misanthrop in die Vorstadtfamilie von Violette (Virginie Efira) ein. Er möchte herausfinden, ob das Konzept Familie gegen seine Einsamkeit hilft. Ein Test, der ihn angesichts chaotischer Zustände allerdings schnell überfordert.

Améris' sympathische Komödie spielt nicht nur mit der Reibung von gegensätzlichen Lebensmodellen, sondern erzählt auch von den Bedürfnissen, die der Blick auf das jeweils andere weckt. Das screwballähnliche Zusammenspiel zwischen Schauspielstar Benoît Poelvoorde und seiner Kollegin Virginie Efira, die wie er aus Belgien stammt, ist sein größtes Plus. Am Donnerstag eröffnet der Film das Festival du film francophone in Wien, danach läuft er bundesweit im Kino.

STANDARD: Für eine Komödie hat "Familie zu vermieten" einen ernsten Hintergrund. Sie geht von Menschen aus, die auf die falsche Glücksformel gesetzt haben.

Améris: Da haben Sie ganz recht. Es gibt viel Einsamkeit in unserer Gesellschaft, trotz all dieser Dating-Apps. Es ist immer noch schwierig, neue Bekanntschaften zu machen, ja Brücken zwischen Menschen zu bauen. Meine romantische Fabel erzählt vor diesem Hintergrund vom Zusammentreffen zweier einsamer Seelen – wobei deren Einsamkeit durchaus unterschiedlich ist. Die beiden helfen einander, wieder Vertrauen zu schöpfen.

STANDARD: Das Erzählmotiv, ein Paar zanken zu lassen und den sozialen Background offenzulegen, kennt man vor allem aus dem US-Kino. Ein Einfluss?

Améris: Ja, das war für mich schon als Teenager wichtig. Ich bin von amerikanischen Komödien geprägt worden, besonders von Filmen Frank Capras und Gregory La Cavas. Ich habe Virginie Efira auch Filme von Ginger Rogers und Carole Lombard gezeigt, weil deren Frauenfiguren für mich die Inspiration für Violette waren. Auch Capras Komödie You Can't Take it With You, die vom Zusammentreffen zweier grundverschiedener Familien erzählt, hat hinsichtlich des Settings Spuren hinterlassen.

STANDARD: Wobei die Settings ja nicht unbedingt realistisch sind, sondern eher die Unterschiede betonen ...

Améris: Ich wollte weniger eine reale Welt abbilden, als diese komplett nachbauen. Paul-Andrés Reich ist wie Xanadu, ein Schloss, fast wie in Citizen Kane; Violettes Haus gleicht hingegen dem eines Schäfers, es könnte aber auch in der Suburbia stehen wie das von Erin Brockovich. Jenes von Andrés Mutter ist wiederum wie in Psycho gestaltet. Ich wollte die Grenzen zwischen dem Märchenhaften und der Realität verschwimmen lassen. Alles sollte jedoch durch die Distanz des Humors abgemildert sein. Mit der Komik versuche ich eine Distanz einzuführen, zwischen der wie auch immer gearteten harten Realität und der Art und Weise, wie Menschen diese erfahren.

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STANDARD: Sie haben bisher erst eine Komödie gedreht. Wissen Sie bei Ihren Sujets immer gleich, in welche Richtung es gehen wird?

Améris: Diesmal war es schwierig, weil es autobiografische Elemente gab. Der Film ist nicht nur das Ergebnis meiner Liebe für die US-Komödie, er verdankt sich auch dem glücklichen Zusammentreffen mit Murielle Magellan, meiner Lebensgefährtin, einer Drehbuchautorin – wir haben aus diesen zwei Quellen geschöpft. Aber ich habe für meine Frau nicht bezahlt!

STANDARD:: Das heißt, es gibt ganz direkte persönliche Bezüge?

Améris: Ja. Als ich Murielle vor zehn Jahren kennenlernte, war die Situation ein wenig wie die zwischen Violette und Paul-André. Ich bin wie er, manisch und pessimistisch, nur ohne den Reichtum. Leider. Muriel ist ganz anders, lebensbejahend, auch offen, und als ich dann zu ihr zog, herrschte ein ähnliches Chaos – zugleich war es ein unglaublich lebendiges Familiengefühl.

STANDARD: Und Benoît Poelvoorde wusste davon, nehme ich an?

Améris: Nun, der Film ist auch für ihn geschrieben und von ihm mitinspiriert. Wir wurden beide 50 Jahre alt, ohne Väter zu sein – und es gab eine gewisse Melancholie, ja Nostalgie darüber, dass wir keine Kinder hatten. Und zugleich dachte man: Ich würde es nicht länger als zwanzig Minuten aushalten, wenn es anders wäre! Wir haben wirklich einiges gemeinsam. Benoît mag Kinder sehr, nicht dass Sie das falsch verstehen: Aber es ist ambivalent. Ist man bei ihnen, kann es schnell zu viel werden, ist man von ihnen fort, fehlen sie gleich. Und wenn sie im Film sehen, wie penibel er mit dem Staubsauger in seiner Wohnung agiert – das ist etwas, was ich ihn machen sah.

STANDARD: Bei Virginie Efira verblüfft wiederum, wie instinktiv und direkt sie agiert.

Améris: Das mag ich an dieser Figur, diese Kraft, mit der sie ins Leben tritt, diese Standfestigkeit. Wenn Violettes Bruder zu ihr sagt, sie hätte keine Klasse, sehe ich das natürlich ganz anders. Sie hat Klasse. Sie hat die Klasse des Herzens, die Intelligenz des Herzens, das wirklich Entscheidende.

STANDARD: Inwiefern ist "Familie zu vermieten" auch eine Abrechnung mit Familien? Bei Edith Scob, die Paul-Andrés kühle Mutter spielt, denkt man gleich an ihre berühmte Rolle im Georges-Franju-Film, "Augen ohne Gesicht".

Améris: Ich wollte mit dieser Figur die Unfähigkeit eines Menschen zeigen, Zärtlichkeit zuzulassen. Als ich über die Besetzung nachdachte, ging es mir aber nicht darum, sie besonders bösartig zu zeigen. Es musste jemand sein, dem es zu zeigen gelingt, wie schwierig es ist, Emotionen zu vermitteln. In Violettes Familie berühren sich ständig alle, doch das bedeutet noch lange nicht, dass es keine latente Gewalt gibt. Das ist das zentrale Thema: Die beste Familie ist die, die man sich selbst schafft, und nicht die biologische. Natürlich ist dies kein Film gegen die Familie. Aber es ist auch kein Film für die Familie. (Dominik Kamalzadeh, 14.4.2016)