Wien – Wäre man bösartig, müsste man den Wiener Linien daran die Schuld geben, dass Lasha A. vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Alexandra Skridla sitzt. Denn offenbar gibt es in der U-Bahn-Station Westbahnhof zu wenige Sitzgelegenheiten. Nun ist der 20-Jährige wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung angeklagt.

Es geht um die Nacht des 8. Februar und die U3-Haltestelle Westbahnhof. A. und ein 16-jähriger Freund wollten dort – ziemlich bedient – nebeneinander sitzen, um auf den Zug zu warten.

Höfliche Bitte um Platz

Opfer Semeh H. saß auf einem der paarweise angeordneten Sitze. "Ich habe ihn gebeten, ob er sich woanders hinsetzen kann, damit mein Freund auch Platz hat", erzählt der Angeklagte. "Wieso?", wundert sich Skridla. Genau kann er das nicht mehr sagen, aber er weiß noch: "Ich habe höflich gebeten."

Überraschenderweise stand H. nach kurzem Wortwechsel tatsächlich auf und ging. "Er hat etwas gemurmelt, ich bin ihm nachgegangen." – "Warum?" – "Ich wollte wissen, was er sagt." Das Opfer setzte sich wieder auf seinen alten Platz, es kam zu einem neuen Streit.

"Wir sind dann schon Kopf an Kopf gestanden, ich dachte, er wird mich angehen." Daher habe er sein Klappmesser gezogen. "Warum haben Sie überhaupt ein Messer dabei? Ich habe keines in meiner Handtasche", gibt die Vorsitzende Privates preis. "Ich habe es mir gekauft, weil es mir gefallen hat. Und zum Fleischschneiden."

Ritzer am Bauch

Er habe aber nie eine Stichbewegung ausgeführt, wie ihm Staatsanwältin Julia Johnson vorwirft. "Ich habe es nur vor mir gehalten, vielleicht ist dabei die Verletzung passiert." Die Verletzung ist ein Ritzer am Bauch, der durch zwei Pullover durchging.

H. muss das gespürt haben, er rannte nämlich um Hilfe schreiend weg. Die Vorgeschichte schildert der 19-Jährige allerdings deutlich anders. "Ich bin von der Arbeit heimgekommen, dort gesessen und habe mit dem Handy gespielt."

Das Paar sei vor ihm gestanden, der Angeklagte habe den Platz mäßig freundlich verlangt. "Yo, steh auf, ich will da sitzen!", soll er gesagt haben. "Ich dachte am Anfang, die wollen mich meier machen", benutzt H. einen hübschen österreichischen Ausdruck.

Er sei weggegangen, A. nachgekommen. "Er hat mir ein Haxl gestellt, ich habe ihn gefragt, was er eigentlich will." Man sei bei der verbalen Auseinandersetzung sehr knapp aneinandergestanden, plötzlich habe er das Messer gespürt und seinen Kontrahenten weggestoßen.

Erstaunlich objektives Opfer

Das Opfer ist ungewöhnlich objektiv: Er sagt nämlich auch, dass die Verletzung bei diesem Wegstoßen passiert sein könnte und er keine Stichbewegung wahrgenommen habe. Für die Schmerzen und die beschädigten Pullover will er 150 Euro. Was für den arbeitslosen Angeklagten viel Geld ist – er erhält im Monat 144 Euro Arbeitslosengeld, Mindestsicherung hat er nie beantragt.

Zahlen muss er trotzdem. Zusätzlich verurteilt ihn das Gericht wegen normaler Körperverletzung und Sachbeschädigung zu sechs Monaten bedingt. Das ist bei einem unbescholtenen Tatsachengeständigen erstaunlich viel, A. hat dennoch Glück. Da er junger Erwachsener ist, scheint die Vorstrafe nicht auf. Er nimmt das Urteil an, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, daher ist es nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 15.4.2016)