Jan Böhmermann, Satiriker.

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Angela Merkel schreitet zur Tat.

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Berlin – Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Freitag ihre langerwartete Erklärung zu der Affäre um den TV-Moderator Jan Böhmermann abgegeben.

Merkel erklärte, die Bundesregierung habe das türkische Strafersuchen geprüft, es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen SPD und CDU. Die Regierung wird die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen.

Die Kanzlerin forderte die Achtung der Freiheiten auch von der Türkei ein, die Regierung sei von der Stärke des Rechtsstaates überzeugt. Meinungsfreiheit und Pressefreiheit seien elementar. Im Rechtsstaat sei es nicht Angelegenheit der Regierung, über Grenzen der Kunst und der Meinungsfreiheit zu urteilen. Staatsanwaltschaft und Gerichte hätten das letzte Wort. Aus diesem Grund werde die Regierung die Ermächtigung erteilen. Der Paragraf 103 sei aber entbehrlich, es werde ein Gesetzesentwurf zur Abschaffung eingebracht. Die Regelung solle 2018 in Kraft treten.

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SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat die Ermächtigung durch Merkel umgehend kritisiert. "Ich halte die Entscheidung für falsch", erklärte Oppermann am Freitag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter. "Strafverfolgung von Satire wegen 'Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne Demokratie."

Die Franktionschefin der Linkspartei Sahra Wagenknecht kritisierte Merkels "unerträglichen Kotau". Die Kanzlerin kusche vor dem türkischen Despoten Erdogan und opfere die Pressefreiheit in Deutschland.

Auch die Grünen kritisierten die Entscheidung. "Die Bundeskanzlerin war in einer schwierigen Lage, in die sie sich auch teilweise selbst gebracht hat", sagte Parteichef Cem Özdemir zu Journalisten.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, kritisiert ebenfalls die Entscheidung der Regierung. "Ich finde die Entscheidung falsch", sagte er der "Berliner Zeitung". "Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin dieses Verfahren nicht zulässt, sondern dass man auf das persönliche Verfahren wartet." Denn der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan habe ja auch als Privatperson Strafantrag gestellt. Dabei hätte man es belassen sollen.

Keine "Ziegendemo gegen Beleidigung"

Das Verwaltungsgericht Berlin hat es Demonstranten unterdessen untersagt, vor der türkischen Botschaft das umstrittene "Schmähgedicht" Böhmermanns zu zeigen oder es zu rezitieren. Das teilte das Gericht am Freitag angesichts einer geplanten Kundgebung unter dem Motto "Ziegendemo gegen Beleidigung" mit. Es bestätigte damit eine Vorgabe der Berliner Polizei.

Bei der Demo wollten laut Gericht Teilnehmer Ziegenmasken oder Kopftücher tragen und "künstlerische Schrifttafeln" vor sich aufstellen, auf denen Teile des Gedichts zu lesen sein sollten. Das Verwaltungsgericht bestätigte nun die Auflage der Polizei, die das öffentliche Zeigen und Rezitieren untersagt hatte. Das Gericht traf aber nach eigenen Angaben keine Aussage über die Strafbarkeit von Böhmermanns Handeln.

Sonderparagraf kommt zum Tragen

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show "Neo Magazin Royale" ein Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgetragen, das zahlreiche Formulierungen enthielt, die unter die Gürtellinie zielen. Der Beitrag trug den Titel "Schmähkritik" und diente dem Satiriker dazu, die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland zu illustrieren. Die Sendung sorgte in der Türkei für große Empörung.

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs. Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. Erdogan hat allerdings auch als Privatmann wegen Beleidigung Strafantrag einbringen lassen. In diesem Fall ist keine Zustimmung der Regierung zu einem Verfahren nötig.

Merkel reist in die Türkei

Der diplomatische Streit mit Ankara stellte auch eine Gefährung des Flüchtlingsdeals zwischen der EU und der Türkei dar. In dieser Angelegenheit wird Angela Merkel drei Wochen nach dem Start des umstrittenen EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens am Samstag nächster Woche (23. April) in die Türkei reisen. Vertreter der EU planten eine Reise in die Stadt Gaziantep, an der die Kanzlerin teilnehmen werde, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Mit dabei seien auch EU-Ratspräsident Donald Tusk und der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans. (red, APA, Reuters 15.4.2016)