Spiele in "Wut" von Elfriede Jelinek (v.l.n.r.): Franz Rogowski, Annette Paulmann, Julia Riedler, Jelena Kuljić, Zeynep Bozbay, Thomas Hauser, Daniel Lommatzsch.

Foto: Thomas Aurin

Regisseur Nicolas Stemann orchestriert die "Wut"-Stimmen aus Elfriede Jelineks gleichnamigem Stück (v.l.n.r.): Franz Rogowski, Daniel Lommatzsch, Thomas Hauser.

Foto: Thomas Aurin

München – Die Uraufführung von Elfriede Jelineks Drama "Wut" am Samstsgabend beginnt an den Kammerspielen München mit einer launigen Ansprache von Regisseur Nicolas Stemann (über die wachsenden Textkonvolute der Autorin) und einem Zitat von André Breton: "Der einfachste surrealistische Akt ist es, blindlings in die Menge zu schießen". Von der Unfassbarkeit und Widersinnigkeit terroristischer Akte handelt auch das Stück.

Die Autorin hat den Text unmittelbar als Reaktion auf die Pariser Terroranschläge verfasst, die unter anderen der Redaktion des Satiremagazins "Charie Hebdo" und einem jüdischen Lebensmittelgeschäft gegolten haben. Auf eine Weiterentwicklung des Textes – in Hinblick auf die danach noch gefolgt seienden Anschläge in Paris (Bataclan), Brüssel, Istanbul oder Lahore – hat die Autorin verzichtet. "Irgendwann kommt man einfach nicht mehr hinterher", ließ Stemann schon vorab verlauten.

Götter auf der Couch

Dass seine Inszenierung aber bis zur aktuellen Böhmermann-Debatte ausholte, wurde am Ende des ersten Teils klar. Sie war ein erster schräger Höhepunkt in einer typischen Stemann-Inszenierung, die – es ist mittlerweile die achte eines Jelinek-Textes – zwischen Lesen, szenischen Dialogen mit Kamera-Projektionen und Musikmachen changiert. Jan Böhmermann, so geht die Szene, irritiert das gemütliche Zusammensein diverser Götter auf der Couch (mit Jesus als Gastgeber).

Diese handfeste Szene sowie ein ebenfalls gelungenes satirisches Zwischenspiel mit einer akustischen Jelinek-Karikatur machen erst deutlich, wie sehr es in dieser vielschichtigen, wiederum von vielen nicht sofort zuordenbaren Subjekten bevölkerten Rede nach Bodenhaftung verlangt. Bis zur Pause steigert Stemann vor allem die Laune und zeigt das bunt inszenierte Abbild der vielstimmigen Wut-"Phrasen", die Jelinek versammelt: die Wut von tötungswilligen Terroristen, von zornigen Pegida-Anhängern, von sogenannten Wutbürgern, von schäumenden Internet-Postern – oder schlicht die Entrüstung einer Frau, die von "Hans" verlassen wurde.

Zunehmende Verflachung

Im zweiten Teil, der trotz einigermaßen naiver Perspektiven zu ernsten Tonlagen findet und mit einem durch die Bühnenrampe zweigeteilten Publikum endet, nehmen die Gottesbezüge zu. Genau diese Kurzschlüsse, also die unhinterfragte direkte Verbindung zwischen Gott (Prophet Mohammed) und dem Terrorismus machen den Abend aber eindimensionaler, als er zuvor war, und sie verflachen die vielen angestrengten Bezüge. (Margarete Affenzeller, 16.4.2016)