Bildtitel können bisweilen in die Irre führen. Die Gemeinsamkeit einer "Partie am Chiemsee", einer "Donaulandschaft in Oberungarn" und einer "Abendstimmung am Neusiedler See" läge ja allenfalls in der motivischen Sequenz. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein Gemälde, 1870 von Robert Russ gemalt, das im Laufe der Jahre mehrfach umbenannt wurde.
In Ermangelung eines vom Künstler festgelegten oder über Fachliteratur dokumentierten Titels sind solche das Motiv beschreibende Bezeichnungen im Kunsthandel durchaus üblich. Erwähntes Beispiel ist nur eines von vielen im OEuvre des Künstlers, und die Zuordnung über historische Quellen muss eine Herausforderung der Sonderklasse gewesen sein.
Seit vergangener Woche liegt das in der Reihe "im Kinsky editionen" publizierte Werkverzeichnis vor. Als Autorin fungiert Andrea Winklbauer, Kuratorin im jüdischen Museum, die 1994 erstmals über Russ publizierte und dem von zeitgenössischen Kritikern als Anhänger der Paysage intime Bezeichneten auch ihre Diplomarbeit (2008) widmete.
Die Russ'sche Relevanz für die österreichische Kunstgeschichte mag sich im Vergleich zu seinen Zeitgenossen in Grenzen halten, auf dem heimischen Marktplatz sind seine Arbeiten heute wie auch schon einst durchaus gefragt.
Wahrscheinlich nicht gesichert
Die knapp 300-seitige Publikation wird Sammlern Einblick in das Schaffen des Künstlers bieten und Experten mit der detaillierten Dokumentation überzeugen. Und auch wenn sich die Chronik der Vorbesitzer von hier erfassten Werken nur teilweise rekonstruieren ließ, finden sich interessante Anhaltspunkte für Provenienzforscher, wie folgende Fälle belegen.
Im Zuge der Kinsky-Auktion gelangte diese Woche (12. 4.) das als "Gartenpartie aus dem Etschtal" titulierte Gemälde zur Auktion. Die Provenienzangaben im Katalog waren dem druckfrischen Werkverzeichnis entnommen. Laut diesem hatte ein gewisser Arnold Rosenthal das Gemälde ("Im Etschtal bei Meran") 1906 im Künstlerhaus gekauft, 1954 war es erstmals ("Frühling in Meran") im Dorotheum versteigert worden und ebendort zuletzt erneut 2011 (85.700 Euro).
Rosenthal war ein jüdischer Textilfabrikant, er verstarb 1930, seine Witwe Ottilie und die erwachsenen Kinder flohen 1938 vor dem NS-Regime. der Standard fragte vor der Versteigerung beim Auktionshaus an, ob denn die Herkunftslücke von fast 50 Jahren überprüft worden sei. Als Reaktion löschte man den Namen Rosenthal und die zugehörige Quelle in der Literaturangabe aus dem Onlinekatalog. Denn es sei ja, wie zu erfahren war, nicht erwiesen, dass es sich um exakt dieses von Rosenthal erworbene Gemälde handle.
Dann müsste es sich um eine bislang unbekannte in Öl gemalte Version handeln, erklärt Andrea Winklbauer. Den Rosenthal-Hinweis fand sie im Künstlerhausarchiv, konkret in den sogenannten Einlaufbüchern, in denen alle dort ausgestellten Werke und, sofern diese verkauft worden waren, auch die Käufer registriert wurden. Die von ihr nicht näher erforschte Rosenthal-Provenienz gilt deshalb "als wahrscheinlich, aber nicht gesichert". Fakt ist: Im gesamten Werkverzeichnis findet sich kein einziger anderer über Quellen belegter Rosenthal-Ankauf.
Art Loss keine Alternative
Provenienzrecherche wäre im Falle der nun für 138.600 Euro versteigerten "Gartenpartie" angebracht gewesen, etwa auch um das Risiko für institutionelle Käufer zu minimieren, die womöglich mit einer Rückgabeforderungen konfrontiert werden könnten. Denn der Vermögensanmeldung von Ottilie Rosenthal war, wie ein Check ergab, eine Schätzliste vom Juni 1938 beigelegt. In dieser wurden etwa die 49 Bilder jedoch ohne Angaben zum Motiv nur anhand der Künstlernamen erfasst, darunter auch ein Ölgemälde von Robert Russ.
2011 war dem Dorotheum die Rosenthal-Provenienz noch unbekannt. Dennoch, erklärt man, habe man es damals sorgfältig geprüft, und es sei von Art Loss Register ein Zertifikat ausgestellt worden. Bloß ist in dieser Datenbank bekanntlich nur verzeichnet, was irgendwann seit Ende der 1990er-Jahre auch gemeldet oder erfasst wurde.
Selbst wenn sich solche Anbieter dem Kunsthandel als bequeme Alternative offerieren, wird eine Datenbankabfrage Provenienzforschung nie ersetzen können. Das belegt ein weiteres Russ-Gemälde, das seit 1942 nicht weniger als fünf Mal versteigert wurde, zuletzt 2014 und ebenfalls bei "im Kinsky" als "Fichtenwald mit Jäger", datiert auf 1869.
Dem Werkverzeichnis gemäß gilt hier die Provenienz Bruno Jellinek als wahrscheinlich. Der Bananenimporteur war wenige Tage nach dem Anschluss über die Tschechoslowakei in die USA geflüchtet, wo er 1943 verstarb. Laut Sophie Lillie wurden seine "16 Möbelwagen und 33 Colli Umzugsgut" 1941 von der Gestapo beschlagnahmt und über die Vugesta und das Dorotheum verwertet. In ihrem Buch Was einmal war, (2003) veröffentlichte sie eine Inventarliste der umfangreichen Sammlung, und dort findet sich unter den "Modernen Meistern" eine "Gebirgslandschaft mit Jägern, Lwd., 155×113, sign. 1869" von Russ, ein Hinweis, dem man im Kinsky nicht nachging.
Standard-Recherchen im Ar-chiv des Bundesdenkmalamts (BDA) zufolge handelt es sich zweifelsfrei um das Gemälde Bruno Jellineks. 1948 war es explizit als sein Eigentum identifiziert worden. Nach dem Krieg hatten sich seine Geschwister um die Auffindung der im Herbst 1938 auf 127.410 Reichsmark geschätzten Sammlung bemüht – größtenteils vergeblich. Von den 122 Miniaturen und 84 Gemälden erhielt man laut einem Schriftstück von 1952 nur jeweils neun zurück. Zieht man die im Personenakt bis dahin dokumentierte Anzahl restituierter Werke ins Kalkül, kann das Russ-Bild nicht darunter gewesen sein.
Verwechslung im Wien-Museum
Die Suche nach in der NS-Zeit entzogenen Kunstwerken blieb nach dem Krieg oftmals eine vergebliche, auch aufgrund ungenauer und fast eine Dekade später aus der Erinnerung rekonstruierter Angaben. Viele hatten Österreich in dem Glauben verlassen, die bei vermeintlichen Vertrauenspersonen oder später arisierten Speditionen deponierten Kunstwerke würden als Übersiedlungsgut nachgeschickt.
Ein detailliertes Inventar, das eine spätere Identifizierung ermöglichen und Ansprüche bestätigen würde, hatte kaum jemand im Fluchtgepäck. In Ausnahmefällen erleichterten Fotoaufnahmen die von Rechtsvertretern betriebenen Suchaktionen. Ein Restbestand hat sich im BDA-Archiv erhalten.
Dort stieß DER STANDARD auf die Aufnahme eines weiteren Russ-Gemäldes, bezeichnet als "Brunnen und Straßenbild in einer südlichen Stadt, Öl". Es hatte einst Elsa Gall gehört, die im Frühjahr 1939 in die USA geflüchtet war. Laut Sophie Lillie wurde ihr Übersiedlungslift im November 1940 von der Gestapo beschlagnahmt und von April 1941 bis November 1942 über die Vugesta im Dorotheum und im Freihandverkauf verwertet. Dazu gehörte, gemäß der 2003 publizierten Liste aus dem Jahr 1956, auch ein "Ölgemälde, signiert R. Russ, italienischer Stadtteil mit Brunnen".
Über die Vugesta gelangte es laut Inventareintrag vom 25. August 1941 in den Bestand des Wien-Museums. 2004 entschied die Kommission auf Rückgabe. Das Werk wurde 2006 restituiert, allerdings an die falschen Erben, wie das vom Standard aufgefundene Foto bestätigt.
Denn im Inventarbuch des Museums war das Gemälde als "Italienische Landschaft" eingetragen und man wähnte es im Abgleich mit der in der Vermögensanmeldung von Franz Popper aufscheinenden "ital. Landschaft" von Russ als dessen einstiges Eigentum. Im Bemühen, eine Raubkunstcausa zu klären, hatte man die sehr allgemein gehaltene Bezeichnung des Kunstwerkes nicht hinterfragt. Als "Straße in Arco" wurde es im April 2007 von "im Kinsky" für netto 35.000 Euro versteigert.
Auf Anfrage bedauert das Museum diesen aufgrund einer Verwechslung erfolgten Irrtum aufs Äußerste. Direktor Matti Bunzl versichert, man werde "unverzüglich sowohl mit den Rechtsnachfolgern von Franz Popper in Verbindung treten als auch mögliche Rechtsnachfolger von Else Gall ausfindig machen". (Olga Kronsteiner, ALBUM, 15.4.2016)